“KI & Gruselfaktor.” Wie in Deutschland Codes nicht verstanden werden. Beispiel Johannes Franzen, Kritik von Regula Staempfli.

Regula Staempflis New Book on the Algorithmic Age. Trump 2.0. “Trumpism isn’t a man—it’s a modus.”TM

KI ist kein Grusel – sondern Code

Von Regula Stämpfli

Johannes Franzen hat in seiner jüngsten Kolumne über Künstliche Intelligenz (KI) erneut das getan, was er am besten kann: Er jongliert mit feuilletonistischen Anekdoten, gruseligen Einzelfällen und einem ironischen Gestus, der aufgeklärte Distanz markieren soll. KI, so Franzen, sei ein „mass-delusion event“, ein kollektives Wahnereignis, gespeist aus Medienhysterie, hässlichen Buchcovern und pietätlosen Deepfakes von Totenstimmen.

Das liest sich elegant, bleibt aber an der Oberfläche. Denn KI ist keine „Wahnvorstellung“. KI ist Code. Und Code ist Macht.

Codes statt Anekdoten

Was Franzen in seinen Glossen ignoriert: KI wirkt nicht in erster Linie in den „schönen Gruselgeschichten“ des Kulturbetriebs. Sie verändert Strukturen, Prozesse, Repräsentationen. Die entscheidenden Fragen lauten nicht: „Wie hässlich sind KI-Cover?“ oder „Darf man sich von ChatGPT inspirieren lassen?“

Die Fragen lauten:

  • Wer bestimmt die Codes, nach denen KI funktioniert?
  • Welche Interessen stecken in den Datensätzen, die unsere Wahrnehmung der Welt formen?
  • Wie verschiebt KI die Bedingungen von Demokratie, Öffentlichkeit und Wahrheit?
  • Das Algorithmic Age – siehe dazu Regula Staempfli “Trumpism. The Algorithmic Age.”

Wir leben im Algorithmic Age. Die großen Plattformen – Google, Meta, Microsoft, OpenAI – definieren längst, was wir sehen, lesen, glauben sollen. Google ist keine Suchmaschine mehr, sondern ein Reputationsfilter. Netflix kuratiert nicht nur Unterhaltung, sondern Weltbilder. Verwaltungen und Gerichte beginnen, algorithmische Systeme zur Entscheidungsfindung einzusetzen – ohne dass die Betroffenen Mitbestimmung oder gar Repräsentationsrechte haben.

KI ist nicht die „freundliche Inspiration beim Schreiben“. KI ist die neue Infrastruktur von Macht. Deshalb: Demokratie ohne Daten-Demos stirbt Die Demokratiefrage lautet nicht: „Soll man noch mit Bleistift schreiben?“ Die Demokratiefrage lautet: Wie sichern wir Mitbestimmung in einer Welt, die von Algorithmen regiert wird?

Das erfordert neue Konzepte: copyright Regula Staempfli 2025.

  • Datendemokratie: Keine Daten ohne Repräsentation. Daten & Privatsphäre gemäss Grundgesetz schützen (gilt auch für Wikipedia!)
  • Internalisierung externer Kosten: Wer durch Codes zerstört, muss die Kosten tragen.
  • Ökologie der Demokratie: Small is beautiful – demokratische Entscheidungen vor Ort, statt globale Bürokratien.
  • Freiheit der Rede: Schutzräume gegen Cancel Culture, Propaganda-Codes und algorithmische Willkür.

Warum „Wahnvorstellung“ gefährlich ist: Es gilt, die Codes sichtbar zu machen & keinen feuton

Franzen tut so, als sei die KI-Debatte ein hysterisches Übertreibungsspiel, das man mit Ironie bändigen könne. Tatsächlich aber verharmlost er damit eine Machtverschiebung, die unsere Demokratien längst erfasst hat. Wer KI auf „Handschrift vs. Chatbot“ reduziert, betreibt nicht Aufklärung, sondern Ablenkung. Die eigentliche Aufgabe besteht darin, die Codes offenzulegen, die unsere Gegenwart prägen – und Räume für demokratische Kontrolle zurückzuerobern.

Kritik VON REGULA STAEMPFLI am Artikel von Johannes Franzen vom 26. August 2025 KI UND KONFLIKT.


“Alle Menschen haben das Recht, gleich zu zählen.” Regula Stämpfli über die Demokratisierung der Digitalisierung.

Demokratisierung der Digitalisierung von Regula Stämpfli mit Selfie im Kunstmuseum Bern.
Demokratisierung der Digitalisierung von Regula Stämpfli mit Selfie im Kunstmuseum Bern.

Nicht die Demokratie muss digitalisiert werden, sondern die Digitalisierung demokratisiert. Alle Menschen haben das Recht, gleich zu zählen – wie alle Menschen vor dem Gesetze gleich sind. Was im realen Leben verboten ist, darf auch digital nicht erlaubt sein. No Data without Representation. Wer nicht gezählt wird, verschwindet. Codes sind nie neutral, sondern die neuen Schriftsetzer eines digitalen Pharaonenreichs.

Darüber müssen heftige Diskussionen geführt werden. Am Beispiel der Leihmutterschaft, der sog. Sexarbeit und der totalitären Transaktivisten (die mit Transsexuellen meist kaum Berührung haben) zeigt sich, dass mit der digitalen Revolution die REALE BIOLOGIE (natürlich immer die von Frauen, das ist seit Jahrtausenden so, dass Frauenkörper zurechtgeschnitten werden entlang der herrschenden Ideologien), zur Projektionsfläche technischer Kontrolle wird.

Deshalb muss der Graben zwischen codierten Fiktionen und der Wirklichkeit reflektiert und immer als Dazwischen demokratisch gestaltet werden. Handeln verlangt nach Anwesenheit.

Gedanken in der Vorbereitung für einen Podcast zur Zukunft der Digitalisierung, 17.7.2025.

CV laStaempfli Kurz: Regula Stämpfli studierte Staats- und Verfassungsrecht und Geschichte an den Universitäten Bern, Zürich und Berlin; ihre Masterarbeit beschäftigte sich mit der diplomatischen Anerkennung Chinas im Kalten Krieg. Die Algorithmen-Expertin bei der Bertelsmann-Stiftung hat ihren PhD über Geopolitik und Gender 1914-1945 verfasst, erhielt den ersten Fakultätspreis der Universität, durchlief die akademische Karriere, machte sich in den Nullerjahren als Medienunternehmerin selbstständig. In dieser Funktion berät sie die EU, Organisationen & Verbände, gründete die öffentlichen #HannahArendtLectures an der HSG (die sie selber leitet), schreibt Leitartikel und Kolumnen für Medien im deutschsprachigen Raum und ist Verfasserin von neun Monographien im Sachbuchbereich. Ihr gehören drei Podcasts als Co-Host Die Podcastin, ArtisapieceofCake.Art und der Futurepodcast.