laStaempfli: Ein Prosit für Freud und Darwin
Meine Oma war eine beeindruckende Frau voller lustiger, ernster und kluger Geschichten. Während des Krieges wurde eine Gehilfin auf ihrem Bauernhof von einem Polen, der es in die Schweiz geschafft hatte, schwanger. Grossmutter entdeckte sie kurz darauf bitterlich weinend hinter dem Stall. Auf die Frage, was sie denn so betrübe, meinte das Berner Meitschi: «Jetzt hab ich doch ein Kind mit einem Polen. Wie werde ich mich je mit meinem Baby unterhalten können? Ich sprech doch kein einziges Wort Polnisch!»
Lange klangen Berichte der Wissenschaftsjournalisten wie die rührende Magd meiner Grossmutter. Allen Ernstes wurden Studien von «Brünftigen Männchen, welche aus Weibchen Zicken machen» oder «Männer wollen nur Sex, Frauen geile Schuhe» mit dem intellektuellen Arsenal der Steinzeitjäger verbreitet und geglaubt. Darwin schaffte es deshalb in Fächer, in denen er eigentlich nichts zu suchen hat – in die Politologie oder die Ökonomie, während sich Freud nur noch in der Werbung tummeln durfte. Einer meiner Lieblingswitze zu Freud und Darwin geht so: «Freud und Darwin kommen in eine Bar. Zwei Alkoholiker – Mäusemama, Mäusesohn – lecken aus zwei Fingerhüten gierig Gin. Die Mäusemama fragt Freud und Darwin: ‹Hey, ihr Intelligenzbestien. Wie konnte mein Sohn nur Alkoholiker werden?› – ‹Schlechtes Erbgut›, meint Darwin sofort. ‹Schlechte Mutter›, antwortet Freud.» – Die Frage nach «angeboren» oder «erworben» ist ähnlich beschränkt wie die Behauptung, ein Rechteck werde nur durch seine Längsseite definiert, weil die Querseite «weniger wichtig» sei. Dabei ist die Sache klar: Es ist nicht ein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Oder in den Worten von Eckart von Hirschhausen: «Sieht ein Kind seinem Vater ähnlich, ist es genetisch. Sieht ein Kind seinem Nachbarn ähnlich, ist es Umwelteinfluss.»Seit 2014 wissen wir: Genetik ist immer kontextuell. Ein ETH-Team um Isabelle Mansuy stellte schon vor sechs Jahren fest: Leid vererbt sich bis in die Gene. «Schlechte Erfahrungen hinterlassen Spuren im Gehirn, in den Organen und Keimzellen. Über diese werden die schlechten Erfahrungen dann weitervererbt». Was wurde ich 2007 bei meiner «Macht des richtigen Friseurs» oder auch bei meiner 2013 erschienenen «Vermessung der Frau» teilweise durch den Kakao gezogen, weil ich mithilfe der Poesie (Kafkas «Strafkolonie») und mit der Philosophie von Hannah Arendt und vielen anderen mehr argumentierte, dass der menschliche Körper – medial vor allem der weibliche – nicht als biologisches, sondern als gesellschaftliches Zeichen der herrschenden Machtverteilung funktioniert!«Der Körper ist die Übersetzung der Seele ins Sichtbare», meint auch Christian Morgenstern und meine Grossmutter pflegte Bauchschmerzen mit Hühnersuppe und Kopfweh mit einem Streicheln zu heilen. Beziehungen können durchaus gesund und leider auch krank machen, wie die Studie von Isabelle Mansuy meint: Leid, Kummer, Not, Ungleichheit, Ungerechtigkeit formen nicht nur direkt betroffene Menschen, sondern auch die kommende Generationen. Es ist also höchste Zeit, hier nicht nur pharmakologisch, biologisch oder medizinisch etwas zu tun, sondern vor allem politisch. Nur Holzköpfe verweigern sich diesen Einsichten und derer gibt es immer noch viel zu viele.
Einige Sachbüchertipps zu “Biologie ist nicht ohne Politik zu haben” :Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Norbert Elias, Geschichte der Zivilisation, Regula Stämpfli, Die Macht des richtigen Friseurs (Hannah Arendt Buch) & Die Vermessung der Frau. Hans Belting: Bild und Kult. Die Geschichte des Bildes, Marcel Mauss, Die Gabe, Christina von Braun, Blutsbande, Yval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit, Hannah Arendt: Vita activa, Sivlia Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit. Romane: Franz Kafka: Die Strafkolonie, Chimamanda N gozi Adichie: Americanah, Daborah Feldmann: Unorthodox.
FÜR MEHR BÜCHER SIEHE LASTAEMPFLIS LITERTURBLOG AUF www.ensuite.ch