Regula Stämpfli über SIEGERKUNST (in Anlehung an Wolfgang Ullrich) anlässlich der verschobenen #ArtBasel 2020. Der Titel: “Kann man das scheissen oder soll man das kaufen?” ist als Verneigung zu Piero Manzoni gedacht
Im Juni 2020 hätte die Art Basel mit Glanz und Gloria steigen sollen. Sie wurde auf den 17.- 20. September 2020 verschoben. Anlass genug, um über die Börsenperformance von Kunstmessen nachzudenken.
Vierhundertfünfzigkommadrei Millionen Dollar kostete der Retter der Welt. Salvator Mundi inkarnierte im November 2017 Geld und Kunst wie kein anderes Gemälde vor ihm. Konnten sich Maler der Renaissance noch wehren, Michelangelo Buonarrotti düpierte mit der Sixtinischen Kapelle den Papst, würde sich heutzutage kein Galerist offensiv und für das Werk mit den Mächtigen anlegen. Die „Siegerkunst“ (Wolfgang Ullrich) bleibt auf Kurs: Pecunia non olet. Die schamlose Novemberaktion für einen ungesicherten Leonardo da Vinci übertraf alles Bisherige. Der Louvre von Abu Dhabi erklärte später, er wolle das Bild ausstellen. Gekauft wurde es von einem anonymen Bieter. Vermutet wird als Käufer laut „Der Spiegel“ Prinz Bader bin Abdullah bin Mohammed bin Farhan al-Saud aus Saudi-Arabien. Oh dear, ausgerechnet er! Ein Vertrauten des Kronprinzen Mohammed bin Salman, der, so die Gerüchte, auch mal gerne vor den Augen der Weltöffentlichkeit Regimegegner in fremden Botschaften zerstückeln lässt.
Die Reichen dieser Welt sind dermassen reich, dass nur Kunst sie noch aufwerten kann. Finden sie nämlich üblicherweise nichts, was ihrer enormen Kaufkraft entspricht, dann erfahren sie eine Impotenz ihres unermesslichen Vermögens, so der Kunstmarktkritiker Ullrich. Kunst ist Reinigungsikonografie für die grassierende globale Re-Feudalisierung und Versklavung der Welt und sie erfüllt ihren Job hervorragend. Ob Kunst tatsächlich einen Wert hat, kann zwar theoretisch in Frage gestellt werden, praktisch gehört Kunst seit Jahrhunderten zum Wertvollsten und Langlebigsten was der Kapitalismus zu bieten hat. Der „Tefaf Art Market Report“ weist Gewinnmargen im Kunstmarkt auf von der die Realwirtschaft nicht mal zu träumen vermag. Seit der Bankenkrise der Jahre 2008/09 ist klar: Die Regeln der Finanzwelt lassen sich eins zu eins auf den Kunsthandel übertragen. Nicht nur das: Kunst ist auch die perfekte Geldwaschanlage für organisiertes Verbrechen: Drogen, Menschenhandel und Bestechung von Staatsbeamten. Wer die bei den grossen Auktionshäusern beliebte Kunst kauft, der demonstriert: Ich scheiss auf Wert, sondern setze auf Spekulation.
Der Kunsthandel orientiert sich wie Facebook-Algorithmen nach statistischer Relevanz inklusive Korrelation von Medienberichten, Expertenmeinungen und Galerie-Propaganda. Es gibt dabei jedoch überraschende Momente, die einige Kunstmanager, sind sie denn clever genug, durchaus ausnutzen können. Gegenüber Aktien und Gold hat Kunst den Vorteil, langfristige Anlagen zu sichern. Nur so ist zu erklären, dass ein Hedgefonds-Manager Leon Black 2012 einen Munch für 119.9 Millionen Dollar in New York ersteigerte. Eric Clapton kann davon sprichwörtlich ein Lied singen. Er hatte irgendwann mal ein „Abstraktes Bild“ von Gerhard Richter – dem meiner Meinung nach meist überschätzten Maler überhaupt – für 3.4 Millionen Dollar gekauft und ein par Jahre später für sagenhafte 21.3 Millionen Pfund verkauft.
Der Kunsthandel ist manchmal auch reine Pornografie. Piero Manzoni liess seine eigene Künstlerscheisse in Dosen abpacken, je zu 30 Gramm, aufgewogen in purem Gold. Manzoni stellte auch farblose Bilder her. Die „Achromes“ sind zusammengenäht mit klinisch wirkenden Verbandsmaterial, Seide und anderen Stoffen. Der kapitalismuskritische Clown Manzoni wird mittlerweile auch zu Millionenpreisen gehandelt. Also nicht er, sondern sein nachkriegsavantgardistisches Werk. Einer seiner besten Ideen bestanden in Ballons, gefüllt aus seinem „Künstlerodem“. Auch seine signierten gekochten Eier, signiert mit einem Daumenabdruck wohlverstanden, wurden als Kunstwerke beim Galeriebesuch verspiesen. Die Designerin Juli Gudenhus konnte an Manzoni anknüpfen: Nicht bei der Scheisse, sondern beim Wisch und Weg. Sie präsentierte ihre Sammlung im Corona-Hype um ausverkauftes Klopapier. Schliesslich war Corona zu Beginn noch sehr erheiternd. „Mann mit Nudel sucht Frau mit Klopapier“ lautete eines der beliebten Memes. „Der an sich friedliche, ja simplizistische Hygieneartikel ist in pandemischen Zeiten zum komplexen Anlass für Sorge, Verzweiflung, Wut, Streit, Handschellen und asozial marktwirtschaftliches Verhalten mutiert.“ (SZ, 31.3.2020)
Kann man das scheissen oder soll man das kaufen? Solche banalen Fragen stellen sich schon längst nicht mehr. Vor allem nicht bei einem toten Künstler, dessen Werk-Wert sich nach einem allfälligen Ableben verdoppelt. So rechnen übrigens auch Versicherungen. Jede tote Künstlerin ist doppelt soviel wert wie eine lebende.
Weshalb ist dem so? Wie im Medienmarkt schlägt die fehlende Kunstkritik auf der Kunstseite zu Buche. Museen und Grosssammler, die Super-Egos der Kunstbranche haben schon längst die Deutungshoheit für sich beansprucht. Kritiker wie bspw. Wolfgang Ullrich führen im Vergleich ein Nischendasein. Nur so lassen sich Nicht-Künstler wie Damien Hirst oder Jeff Koons erklären. Ohne Tate Modern wäre der versnobte Medien-Fake Hirst als einer unter Hunderttausenden Künstlern im Versicherungsgeschäft gelandet. Zur Ehrung von Hirst sei indessen anzufügen, dass sein „For the Love of God“ zur bisher bissigsten biokapitalistischen Kritik gehört. Schade nur, dass dies wenige erkennen. Jeff Koon hat, ausser einem sympathischen Wesen und schlechten Frauengeschmack nichts aufzuweisen. Koons Kunst ist nichts – ausser eben unfassbar teuer. Im Jahr 2013 wurde Koons „Balloon Dog“ für 43 Millionen Euro verkauft. Man stelle sich dies plastisch vor: Der Pudel stammte nicht einmal aus Koons Handwerk, sondern wurde von dessen Assistentenkohorte in Serie fabriziert. Dank Koons blüht die Branche, die seit Jahren immer mehr Geld anhäuft und in sich hinein fliessen lässt.
Kritische Künstlerinnen haben es im Vergleich sehr schwer. Es gibt sie zuhauf, sie kriegen jedoch weder wirklich Aufmerksamkeit noch Geld für ihre teils grossartigen Werke. Die neohöfischen Finanzoligarchen in Dubai, Doha, Abu Dhabi, Moskau, Beijing, Rio, Pjöngjang (letztere natürlich nur anonym) verbrämen die Kunstwerke monetär. Sie bestellen Kunst für ihre Geldtempel wie früher Päpste für ihre Kathedralen. „In den funkelnden Oberflächen der Koons-Skulpturen erscheint das Geld selbst als große Kunst. Der materielle wandelt sich in einen ideellen Wert. Was eben noch abstrakt war, eine kalte Zahlenkolonne, zeigt sich in denkbar schönster und sinnlosester Form. Deshalb ist der Pudel auch auf Hochglanz poliert: damit der neue Besitzer sich herrlich im eigenen Reichtum spiegeln kann. Er hat ja sonst nicht so viel“, schreibt der brillante Kunstkritiker Hanno Rauterberg („Die Zeit“, 14.11.2013).
Die Schweiz, das ehemalige Stachelschwein, hat mit der Art Basel schon längst goldene Pudelscheisse im globalen Kunstgeschehen etabliert. Während die Kunstpresse immer wieder nach ideellen Werten statt monetärer Verhaftung im Kunstmarkt schreit, rühmt sich die ehemalige Universitas Basel monetärer Hohenflüge. Nicht nur die Schweiz, sondern eben auch die Kunst sind krisensichere Investitions-Orte. Und im Zeitalter des Selfism spielen immer häufiger die Sammler die Hauptrolle: Sowohl die Medien als auch die Billionäre setzen auf den, den eigenen Tod überlebenden Klebstoff Kunst.
2017 wurde nach Auskunft der Händler fast eine Milliarde Euro an der Art Basel umgesetzt während die Documenta 14 mit einem über 5.5 Millionen Euro-Defizit abschliessen und die Leitung in Kassel neu besetzt werden musste. Zwar ist es unfair, ein kuratorisches Ereignis wie die documenta mit dem kommerziellen Event der Art Basel zu vergleichen, doch die traurige Tatsache zeigt: Beide werden vom Publikum unter „Kunst“ subsumiert. Kapital ist eben nie moralisch, sondern höchstens ästhetisch.
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