Kai Strittmater über Demokratie, Deutschland und VR China. Regula Stämpfli/Staempfli hat den SZ-Autoren, Bestsellerwriter & Chinaexperten interviewt.

Regula Stämpfli hat den Bestseller-Autoren & SZ-Autoren Kai Strittmatter zum Gespräch über digitalen Totalitarismus am Beispiel China getroffen. Es wurde ein Gespräch über Geopolitik, Daten & die Versäumisse des Kanzleramtes. Und als Reisetipp TAIWAN.

Zu sich selber sagt Kai Strittmatter: Geboren und aufgewachsen im Allgäu. Studium der Sinologie in München, Xi’an und Taipeh, dann Deutsche Journalistenschule. Von 1997 an SZ-Korrespondent in Peking, Istanbul und Kopenhagen. Nun wieder zurück in München. Vater, Buchautor, süchtig nach chinesischen Nudeln. https://www.sueddeutsche.de/autoren/kai-strittmatter-1.1143187

REGULA STÄMPFLI INTERVIEWT KAI STRITTMATTER IM FUTUREPODCAST ÜBER CHANCEN UND SCHWIERIGKEITEN DER DEMOKRATIE.
REGULA STÄMPFLI INTERVIEWT KAI STRITTMATTER IM FUTURE PODCAST ÜBER CHANCEN UND SCHWIERIGKEITEN DER DEMOKRATIE. HIER KAI STRITTMATTER HOMEPAGE.

Zum Buch „Die Neuerfindung der Diktatur“ siehe Auszug aus dem Piper-Verlag: „China ist Boomland, längst einer der Motoren der Weltwirtschaft. Innenpolitisch blieb das Land dabei immer autoritär, außenpolitisch zurückhaltend. Doch unter Xi Jinping, dem mächtigsten Staats- und Parteichef seit Mao, erfindet sich der autoritäre Staat neu, in offener Konkurrenz zum Westen. China marschiert nun selbstbewusst in die Welt, gleichzeitig gewährt sich sein System ein Update mit den Instrumenten des 21. Jahrhunderts: Peking setzt auf Big Data und künstliche Intelligenz wie keine zweite Regierung. Die Partei glaubt, den perfektesten Überwachungsstaat schaffen zu können, den die Erde je gesehen hat. Das Ziel ist die Kontrolle der KP über alle und alles. Kai Strittmatter beschreibt die Mechanismen der Diktatur, er zeigt, wie Xi Jinping China umbaut und was diese Entwicklung für uns bedeutet.“

Da TWITTER & FACEBOOK WIEDER EINMAL CODES VERÄNDERT HABEN, GRIFF LASTAEMPFLI ZUM BÜSIGIF:

Wie Narrative unsere Demokratien zerstören: Beispiel EU. Von Regula Stämpfli.

Demokratien und Menschenrechte sind keine Selbstläufer: Sie benötigen das ständige Gespräch, einen Diskurs, der immer wieder die Diskrepanz zwischen Rhetorik und Wirklichkeit aufzeigt. Dazu gab es erst kürzlich eine wirklich gute Sendung bei Markus Lanz und den beiden Experten: “Dr. Melanie Müller, Politologin.Die Afrika-Expertin legt dar, wie und mit welcher geostrategischen und wirtschaftlichen Motivation die USA, China, Russland und die EU zunehmend um die Gunst der afrikanischen Länder werben.Joe Chialo, Politiker Der CDU-Politiker mit tansanischen Wurzel äußert sich zur deutschen Entwicklungshilfe und den Zukunftsperspektiven Afrikas. “Nicht Afrika braucht Europa – Europa braucht Afrika”, meint er.”

Der Talk hat Regula Stämpfli dazu inspiriert, die Sprechakttheorien des Westens, die immer mehr unsere Demokratien zumüllen in Bezug auf die Demokratisierung der europäischen und afrikanischen Zusammenarbeit neu zu denken. Notwendig ist ein radikaler Medienwandel sowie eine Reform aller demokratischen Institutionen in den europäischen Ländern mit Amtszeitsbeschränkung, Quoten, Konkordanz, Initiativrecht – kurz eine Verschweizerung Europas mit zusätzlichen demokratischen Kontrollmechanismen wie bspw. das Verfassungsrecht. Dazu hat Regula Stämpfli erst kürzlich im “Pragmaticus” von Servus TV gesprochen:

Regula Stämpfli über Direkte Demokratie und Flankierende Massnahmen.

Im narrativen Zeitalters antidemokratischer, automatischer digitaler Reproduktionen hat es die Wirklichkeit und die Realpolitik schwer, umso schwieriger. Die Europäische Kommission ist beispielsweise brillant darin mittels geschickter Rhetorik ihre oft menschenfeindliche Politik (Stichwort Austerität) zu verschleiern. Brands, Slogans, Framings und Ratings konstruieren Phrasendrescher, die den einzigen Zweck verfolgen, Europa zu inszenieren statt zu regieren.[i] Erschwerend kommt hinzu, dass die technischen Verfahren der Digitalität atopische (ort- und wirklichkeitslose) Fiktionen durch Skandalisierung, die ihrerseits den algorithmischen Feed noch stärker puschen, je häufiger, je wirklicher erscheinen lassen. Im Plattform- und Überwachungskaptialismus hat jede demokratische Politik gegenüber antidemokratisch codierten Apparaten äusserst schlechte Karten.[ii] Die EU als demokratischer, sozialer und ökologischer fehlt sowohl im digitalen als auch im realen Raum.  

Im Zeitalter algorithmischer Reproduktion geben globale Fiktionen für das Nicht-Funktionieren oder das Funktionieren von ökologischer und sozialer Demokratie den Ausschlag. Bei den üblichen EU-Geschichten kommen Müllberge, Leih- und Sklavenarbeit, Umweltzerstörung und die als Kohlenstofflager missbrauchte Luft im Zusammenhang beispielsweise mit der Digitalisierung schlicht nicht vor.

Aus dem Handeln in Demokratien, aus der Geschichte als Erfahrung der Menschheit, aus Politik vor Ort sind Narrative, Storytelling, Fiktionen geworden, die automatisch repetiert die reale Welt ersetzen. Bürger und Bürgerinnen werden als Kredit- und Sozialpunktesysteme gegendert und entsorgt, so dass heutzutage allen Ernstes darüber diskutiert wird, dass das Wort Frau oder gar weiblich, abgeschafft werden soll.

Während Europäerinnen sich von ideologisierten digital gesteuerten Culture-Wars ihre Demokratien zersetzen lassen, wachsen glücklicherweise Generationen in vielen afrikanischen Staaten heran, denen Narrative völlig egal, die konkrete Welt indessen extrem wichtig ist. Über 15 Jahre hat die VR China in vielen afrikanischen Staaten ein Netzwerk neokolonialistischer Ausbeutung errichtet, die wie immer im Kolonialismus, gleichzeitig Infrastruktur, Kredite und Korruption mit der Elite bringt und massive Ausbeutung vor Ort, gegen die sich nun die aufstrebenden Handy-Generationen wehren. Die Titel hierzulande heissen alle: China and USA are fighting over Africa als ob der Kontinent wie vor über 100 Jahren einfach zu besetzen sei. Diese Haltung bringt keine Demokratie und gehört sich auch nicht für Demokratien.

Deshalb: Wie könnte demokratische Politik der EU mit afrikanischen Staaten aussehen? Sehr einfach: Kapital, Waren-, Dienstleistung- und Personenfreizügigkeit mit fast allen afrikanischen Staaten, die über demokratische Infrastrukturen und Institutionen verfügen mit entsprechenden flankierenden Massnahmen ökologischer und sozialer Natur. Völlige Neuerzählungen der Literatur, Kunst, Geschichte und Politik der letzten zweihundert Jahre Europa und afrikanische Staaten betreffend. Es geht um alles und zwar um unsere Zukunft. Nur wenn wir uns als Menschen, Natur und Fortschritt verbunden sehen, kommen wir in den Bereichen, die momentan von arroganten weissen Tussis und radikalen, sehr oft misogynen Transaktivsten dominiert werden und unsere Medien zumüllen, zu wirklicher Politik im Sinne Hannah Arendts. Die momentanen Diskurse in unseren Medien entsprechen dem, was Regula Stämpfli in ihrer Vorlesung #HannahArendtLectures an der #HSG als “Krieg als Politik” beschreibe.

Es geht darum die reale ongoing Transformation der wirklichen Welt und der wirklichen Menschen völlig neu zu erkennen, zu erzählen und uns innerhalb demokratischer Organisationen zu verbinden. Es ist völlig hirnrissig, von oben herab von Moral zu sprechen: Moral ist keine Politik, sondern Ideologie. Politik ist das Verhandeln auf Augenhöhe mit Institutionen auf Augenhöhe und vor allem mit Freiheiten auf Augenhöhe.

Was ist zu tun: „Weltverlust“ nannte dies Hannah Arendt, ich nenne dies die „Eroberung der Welt als Code“ oder „Referenz- und Resonanzverlust der Wirklichkeit“.[ix] – höchste Zeit, Realpolitik zu forcieren.

Falsch erzählt, ist die Demokratie schnell gekreuzigt.

Siehe dazu mein Europaartikel https://www.denknetz.ch/wp-content/uploads/2021/08/Staempfli_Europa_Bankensprech_Sehnsuchtsort.pdf


[i] Zur Medientheorie und Politkommunikation siehe meine Ausführungen in „It´s Democracy, Stupid!“, in Swissfuture, Zukunft der Demokratie, Zürich 3/2017, S. 3-7.

[ii] Siehe dazu Zuboff (2018), S. 231ff. Es geht u.a. auch um den Vorhersageimperativ, der aus Menschen, ja aus der ganzen Welt Datenpakete macht.

[iii] Stämpfli, Regula (2017): Fiktion und Algorithmen. Politische Bildung im Wandel. In: Vereinigung der Schweizerischen Hochschuldozierenden VSU/AEU, Politikwissenschaft und politische Bildung, Jg. 43/1. Zürich.

[iv] Stämpfli, Regula (2018) Trumpism. Ein Phänomen verändert die Welt, Münsterverlag: Zürich. Darin erkläre ich den Weg von Obama zu Trump als Folge der digitalen Revolution. In Österreich wurde „Trumpism“ in der Nachfolge der Affäre rund um die Rechtspopulisten Strache & Co. ein Bestseller, siehe das ORF Hörspiel: „Wie konnte es soweit kommen? Trumpism!“, ORF 1, 26.10.2019.

[v] Zum politischen Marketing siehe auch Klein, Naomi (2019): Gegen Trump. Wie es dazu kam und was wir jetzt tun müssen. S. Fischer Verlag: Berlin.

[vi] Zur Resonanz siehe Rosa, Hartmut (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp: Berlin. Hier insbesondere das Kapitel „Unlesbarkeit: Die Welt als Gegner und als Kränkung“.

[vii] Zur Blindspirale siehe die Ausführungen in Stämpfli, Regula (2008): Die Macht des richtigen Friseurs. Über Bilder, Medien und Frauen. Bartleby&Co.:Bruxelles, S. 156 ff. Kapitel: „Von der Blindspirale zur Alphabetisierung des Blicks“.

[viii] Brodnig, Ingrid (2019): Übermacht im Netz. Warum wir für ein gerechtes Internet kämpfen müssen. Brandstätter: Salzburg.

[ix] Stämpfli (2018), S. 76.

[x] Die Politsatire-Show „Die Anstalt“ ist führend in der Dekonstruktion herrschender Machtverhältnisse und im Bestreben, die Blind- und Schweigespiralen im medialen Diskurs aufzuheben. Zur EU gibt es einige Sendungen, die meiner politologischen Analyse sehr nahe stehen. Sendungen auf YouTube „Die Anstalt“ vom 21.6.2016, 6.9.2016., 18.6.2017, 28.5.2019, zur Klimakrise und EU, 11.2.2020.