Leben verboten! Oder «Und dennoch leben»? Radikalsäkulare jüdische Frauenliteratur damals und heute. Von Regula Stämpfli für ENSUITE. MAGAZIN FÜR KUNST UND KULTUR – Print & Literaturblog.

Leben verboten! Oder «Und dennoch leben»? Radikalsäkulare jüdische Frauenliteratur damals und heute. Von Regula Stämpfli für ENSUITE. MAGAZIN FÜR KUNST UND KULTUR - Print & Literaturblog.
Leben verboten! Oder «Und dennoch leben»? Radikalsäkulare jüdische Frauenliteratur damals und heute. Von Regula Stämpfli für ENSUITE. MAGAZIN FÜR KUNST UND KULTUR – Print & Literaturblog. Susi Singer. FrauenWerkstätte Wien um 1900.

Die Keramik stammt von Susi Singer, einer jüdischen Keramikerin der Wiener Werkstätte, die 1955 in Los Angeles starb, nachdem sie sich dort auch eine Karriere hatte aufbauen können. Foto: R. Stämpfli.

Unsere Essayistin Regula Stämpfli wollte «Die Netanjahus» von Joshua Cohen besprechen, dies sei hiermit getan, denn lesen sollten wir alle die jüdischen Frauen. Hier zwei Werke radikal-säkularer Schriftstellerinnen mit dem Aufruf zur Besinnung und der Aufforderung an unsere Institutionen, die Millionenförderung islamofaschistischer Organisationen zu stoppen.

Die Stadt ist der Sehnsuchtsort all jener, die gleichzeitig Weltenbürgerin und jüdisch sind. Deshalb ist Wien eine jüdische Stadt mit dem jüdischen Humor. Dazu eine lustige Begebenheit. Bestellt ein Nazi einen kleinen Braunen, meint der Kellner, das sehe er sofort, er wolle nur wissen, was der Herr denn trinken wolle; also dieses stundenlange Streiten unter Gleichen, Freien und Solidarischen – das ist Stadt und das ist sehr jüdisch. Die Wiener Juden und Jüdinnen eröffneten denn auch sofort ein Kaffeehaus in Shanghai, nachdem sie vor ihren Mördern geflüchtet und ausgerechnet in China gestrandet waren. «Der Jud muss gehen, sein Geld darf bleiben» – die Antisemiten von damals klingen wie die Experten von heute (hier mit Insidergruss an Richard David Precht).

Maria Lazar, Wienerin, schrieb lange vor der Machtergreifung: «Denn glaube mir, mein Kind, zwischen dem sehr grotesken Fall des Bankiers Ernst von Ufermann und dem anscheinend völlig sinnlosen Eisenbahnattentat, dem so oder so viel Menschen zum Opfer fielen, bestehen doch Zusammenhänge. Es ist ja immer wieder dasselbe Evangelium der Ausrottung, das sich hier kundtut. Verrecke, stirb, verschwinde. Das ist die Losung, mit der die Ware Mensch jetzt dezimiert werden soll. Darf man da schweigen?» Maria Lazar (Pseudonym Esther Grenen, geb. 1895 in Wien, gest. 1948 in Stockholm) war jüngstes Kind einer konvertierten jüdischen Wiener Familie, in der Schule mit Elias Canetti, porträtiert von Oskar Kokoschka und zu ihrer Zeit bekannte Schriftstellerin. Sie wurde von den Nazis vertrieben, ihr Werk verboten und dann vergessen. Dabei war ihr erster Roman, «Die Vergiftung», aus dem Jahr 1920 DER expressionistische Roman avant la lettre. Noch nie zuvor hatte jemand in gnadenloser Härte das wohlstandsverwahrloste Leben einer vermögenden assimilierten jüdischen Familie beschrieben. Der Roman machte die Runde und einen der vielen Skandale damals im jüdischen Wien. Thomas Mann, der alte Sexist und Closet-Gay, schwafelte von «penetrantem Weibergeruch» im Roman – doch auch er musste dann emigrieren, Geruch hin oder her. Maria Lazars Einakter «Der Henker» war noch krasser als «Die Vergiftung», wurde dreimal verboten mit der Begründung: «aus Rücksicht auf die Nerven des Publikums». «Leben verboten» lautete der Titel ihres stärksten Buches aus dem Jahr 1932. Darin ist alles zu finden: die städtische Moderne mit ihrem immer wiederkehrenden Antisemitismus, verbunden mit Sentimentalität, Bigotterie und antidemokratischer Bürokratie. Tja. Damals wie heute schrieben sich Frauen ihre Finger wund mit der Warnung, dass die braune Suppe jederzeit überschwappen könnte – well, meine Lieben. In deutschen Städten und in London sind die neuen islamofaschistischen und rechtsextremen Horden leider schon längst Teil des Stadtbildes – ich hoffe, Wien hält wenigstens diesmal stand, obwohl: Ausgerechnet Wien war entsetzlicherweise nicht nur eine jüdische Stadt, sondern auch die Stadt der modellhaften Ausrottung der Juden und Jüdinnen.

Nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Sommer/Herbst 1941 wurde die Rassenpolitik nihilisiert (Sprachschöpfung der Autorin; bedeutet bis ans totalitäre Ende treiben = nihilisieren). Ziel der Judenpolitik waren nicht mehr nur Enteignung, Vertreibung und Demütigung, sondern VERNICHTUNG. Es war Adolf Eichmann, der im August 1938 die «Zentralstelle für jüdische Auswanderung» durchorganisierte; es war der Plan des Führers himself, Wien als erste Metropole «judenfrei» zu machen. Dieser Vernichtung waren jahrelange «wilde Arisierungen» vorangegangen. Es wurde gestohlen, geplündert, entwendet, versteckt, was nur ging. Darin gleichen sich die nationalsozialistischen Dreissiger- und die islamofaschistischen Zwanzigerjahre. «Judenfrei» sind schon längst alle arabischen Staaten, die sich wie damals die Nazis den Auszug der Juden teuer bezahlen liessen. Und was die «wilde Arisierung» betrifft: Im Zuge des Massenmordes der Hamas vom 7. Oktober 2023 überquerten – Quelle: der linke «Guardian» – unzählige «zivile» Palästinenser die Grenze und stahlen während der Mordorgien alles zusammen, um anschliessend mit ihren Brüdern die Beweise dieser Barbarei zu verbrennen.

Damals ist jetzt! Tatsächlich, wie auch ein jüngster Theaterskandal in der Schweiz beweist. Nach der Machtergreifung 1933 erhielten jüdische Schauspieler und Schauspielerinnen ein Spielverbot. 2023 erfahren wir vom Theater Neumarkt, dass ein Israeli nicht mit einer Libanesin gleichzeitig auf der Bühne stehen darf, weil diese an die Gesetze der Hisbollah in Libanon gebunden sei – krass, nicht wahr? Ich wusste gar nicht, dass sich Schweizer Theater an die Gesetze von Islamofaschisten halten. Was wird das Nächste sein? Das Schulverbot für kleine Mädchen, weil dies sonst deren Sicherheit gefährde, da die Taliban «leider» ein derartiges Gesetz hätten?

Hannah Arendt würde dazu sagen, dass, wer die Welt mit anderen nicht teilen will, es nicht verdient, Teil dieser Welt zu sein. In «Eichmann in Jerusalem» plädierte sie vehement für die Todesstrafe, nicht weil der Mann Rassist, Bürokrat und ein Massenmörder war, sondern weil er sich weigerte, mit Juden und Jüdinnen die Welt zu teilen, und es den Menschen nach dem von ihm organisierten Massenmord nicht zugemutet werden konnte, weiterhin mit Eichmann zusammenzuleben. Der Nationalsozialismus damals – gemäss Hannah Arendt – war kein Ausbruch des kollektiven Wahnsinns, auch nicht die stumpfe Gewalt der Täter gegen Juden und Jüdinnen. Auschwitz war das Resultat jahrelanger Religiosisierung des nihilistischen Massenmords. Islamofaschismus operiert exakt gleich – auch er kein kollektiver Wahnsinn, sondern geplante Brutalo-Banalität: «Ungläubige sind keine Menschen.» Und so etwas wird von unserer europäischen Jugend zu Hunderttausenden in London glorifiziert? Welche Monster haben eigentlich unsere Theater, Universitäten und Kulturinstitutionen geschaffen? Wahrscheinlich dieselben, die einer Frau mit Migrationshintergrund zustimmend zunicken, wenn sie in linken Gewerkschaften schreit: «Ich liebe die Hamas.» Oder ein alter Gewerkschafter meint: «Friede jetzt» – und dann zu Tode beleidigt ist, wenn man ihn damit des Täterkuschelns überführt.

Wie der Nationalsozialismus nicht out of nowhere kam, kam auch der Islamofaschismus nicht von allein. Jahrzehntelange poststrukturalistische, postfeministische und postdemokratische Leere in den Gesellschafts‑, Sozial- und Geisteswissenschaften führt dazu, dass die Shoa ein «Verbrechen» unter «Weissen» und islamofaschistische Massenmörder die Befreier sind. Haben deshalb die USA Afghanistan vorletztes Jahr so überstürzt verlassen? Weil sie den «Befreiern» nicht mehr im Weg stehen wollten? Der am 7. Oktober 2023 in unseren Städten gewachsene islamofaschistische Mob ist das Resultat jahrelanger islamofaschistischer Toleranz inmitten unserer Gesellschaften. Sie sind auch das Resultat neoliberaler, privatisierter Klickregimes, denen egal ist, ob die Klicks von gestörten Kindervergewaltigern oder von um Aufklärung bemühten Politologinnen erfolgen.  Algorithmen transportieren keine Information, sondern reine Emotion: je mehr davon, desto mehr Klicks.

2023 sollte Adania Shibli für ihren Roman «Eine Nebensache» in Frankfurt am Main ausgezeichnet werden. Der Roman behandelt eine wahre Geschichte aus dem Jahr 1949 und zeichnet sich durch antisemitische Stereotype aus. Warum einen derartigen Roman auszeichnen? Die Sprache kann es nicht sein, glauben Sie mir: Er ist literarisch unterirdisch schlecht. Also muss es die Ideologie im Buch sein, aber why? Seit wann gehorchen Literaturpreise vor allem antisemitischen und nicht mehr literarischen Regeln?

Unsere Demokratien wurden auf dem Massengrab der vernichteten europäischen Juden und Jüdinnen errichtet. Als Westkind erlebte ich Jahrzehnte jüdischer Versionen und Visionen demokratischer Partizipation, den Wohlfahrtsstaat, den Feminismus, die kulturelle Avantgarde. Und die sollen mir nun von Islamofaschisten, einer links- und rechtsradikalen Mob- und Klickgesellschaft wieder genommen werden? Unter der lauten Mittäterschaft von Medien, Universitäten und Kulturinstitutionen?

Nein, nein und tausendmal nein. Das sind wir alle nicht zuletzt Simone Veil schuldig. Die schöne Europäerin gehörte zur französischen Intelligenz, viel mehr, als dies Jean-Paul Sartre je gekonnt hätte. Sie überlebte Auschwitz und den Todesmarsch nur knapp, sie war die Retterin der algerischen Gefangenen, indem sie das französische Justiz- und Rechtssystem demokratisierte. Sie trieb die europäische Einigung voran, sie beendete die Hinterhof-Abtreibungen für französische Frauen, sie ist DIE EUROPÄISCHE HELDIN von uns allen: ohne Simone Veil kein Europa, keinen Frieden und keine Menschlichkeit. Sie musste vom Innenminister 1974 hören, als sie sich für das Pariser Bürgermeisteramt interessierte: «Paris gibt sich keiner Frau hin – und noch weniger einer Israelitin.» 1979 wurde sie die erste Präsidentin des Europaparlaments, aber ihre erschütternd gute Biografie, literarisch umwerfend poetisch, kam erst 2007 heraus: Sie musste fast 82 Jahre alt werden, um über das Erlebte schreiben zu können. «Und dennoch leben» heisst das Werk, das auf Deutsch 2009 im Aufbau-Verlag erschienen ist und bis heute auf breite Rezeption wartet. Deshalb hier zum Schluss eine warme Empfehlung dafür. Und was die Stadt der Städte – Wien – betrifft: Lasst sie uns aus geträumten, zerstörten und neu geträumten Ideen der Wiener Jüdinnen wieder aufleben. Diese demokratischen Gebaut- und Geworfenheiten, die uns trotz Zerstörung weitertragen in Strassennamen, Sprichwörtern, im Tonfall der Sprache.

Maria Lazar: Leben verboten!
Btb-Verlag.Simone Veil: Und dennoch leben: Die Autobiografie der grossen Europäerin
Aufbau-Verlag

Erika Freemans Jahrhundertleben – zauberhaft in Dirk Stermanns Buch. Im Foto Erika Freeman und Regula Stämpfli, die dem zauberhaften Impressario des Café Korbs, Franz Schubert, für dieses Treffen und überhaupt alles dankt. Das Jahrhundertleben ist DAS Weihnachtsgeschenk für 2023. Und: Chanukka 2023 – chag urim sameach.

Dieser Essay ist Franz Schubert gewidment. Ohne ihn und das Café Korb wäre ich nie nach Wien gekommen. Ich bin ihm und dem schönsten Café in Wien ewig verbunden. Hier der Link zum Onlinetext: https://www.ensuite.ch/nie-wieder-ist-jetzt-erika-freemans-jahrhundertleben/

Von Dr. Regula Stämpfli — «Mir geht’s gut, wenn nicht heute, dann morgen.» Erika Freemans Optimismus macht Lust auf viele jüdisch-westlich-amerikanische Zukünfte. Nun ist ein wunderbar leichtes Buch mit grossem Tiefgang erschienen über eine, die von sich selbst sagt, sie sei die «Enkelin Freuds».

Die Kombination «alte Frau mit jungem Mann» ist eine charmante Zusammensetzung. Sie ist viel fruchtbarer als der bekannte Gegenpart «alter Mann mit junger Frau». Der fast 60-jährige Dirk Stermann, seines Zeichens bekannter ORF-Moderator («Willkommen Österreich»), gebürtiger Deutscher, und die mittlerweile 96-jährige Psychoanalytikerin Erika Freeman haben zusammen ein Buch gemacht, das unter jeden Weihnachtsbaum gehört. Die Mittwochsgespräche der beiden im Hotel Imperial in Wien verbinden unterschiedliche Zeitebenen und sind hochaktuell. Es geht einerseits um die Lebenserinnerungen der grossen US-amerikanischen Psychoanalytikerin und Entertainerin sowie um Wien, Israel und die USA heute. Es geht auch um die Storys dieser Räume, die ohne jüdische Menschen dem Untergang geweiht sind. Die Nazi- und die Sowjetherrschaft über Europa haben Leerstellen verursacht, die bis heute schmerzen. Erinnern wir uns hier deshalb nur an ein paar Frauen, die Wien verlassen mussten und, wären die verdammten Österreicher damals nicht Nazis geworden, ganz Europa hätten mitverändern können. Und zwar so, dass wir 2023 nicht wieder in dem braunen, linksextremen, antisemitischen Sud in unseren westlichen Grossstädten zu ersaufen drohten.

Da wären Maria Austria, geborene Marie Karoline Östreicher, DIE Avantgarde-Mode- und Porträtfotografin, Lotte Lenya, die umwerfende Kurt-Weill-Interpretin, Hedy Lamarr, Filmstar, Erfinderin von Funksteuerungen etc., Trude Fleischmann, eine weitere Porträtfotografin der Moderne, und Vally Wieselthier, die Keramikkünstlerin der Wiener Werkstätten, um nur einige zu nennen. Sie waren Jüdinnen, Intellektuelle, Weltmenschen, in Wien geboren und wurden mit Gewalt aus ihrer Heimatstadt vertrieben.

Dieses «vertrieben» klingt im Jahr 2023 nicht nach der Gewalt, die dieser Begriff real verkörpert. Mit diesen Frauen hörten die Wesen, die Körper, die Dinge, die Palais, die sie bewohnten, die Schulen, die sie besuchten, die Institutionen, die sie erfanden, von denen sie Teil waren, und die Zukunft für alle Frauen ihrer Art auf. Die Zerstörung des europäischen Judentums zieht bis heute Leerstellen nach sich und neu auch blutige Spuren durch die fehlgeleiteten Massen, die unsere Demokratien mit Demonstrationen zerstören, indem sie entsetzliche antisemitische Slogans schreien. Diese Fratzen und Fahnen ähneln so sehr dem Damals, dass das Heute für mich in deutschen Städten fast unerträglich geworden ist. «Vor Antisemitismus ist man nur noch auf dem Monde sicher», meinte einmal Hannah Arendt, und selbst da ist schon ein Elon Musk.

Deshalb ist «nie wieder» genau «jetzt»! Dazu passt das Buch über das Jahrhundertleben von Erika Freeman perfekt. Wie wohltuend der Titel: «Mir geht’s gut, wenn nicht heute, dann morgen». Ich las die fast 250 Seiten im schönsten Café Wiens, im Café Korb. Zwischendurch schaute dessen Impresario, der grosse Franz Schubert, vorbei, ein Herz von einem Menschen, ein wunderschöner Mann. Diesem ist es übrigens zu verdanken, dass wir alle von Erika Freeman hören. Denn es war Franz Schubert, der Erika Freeman ins Radio, ins TV und jetzt auch in den «Spiegel» brachte; er stellte sicher, dass nicht wieder eine grosse Wienerin von den Wienern erst dann verehrt wird, wenn sie sich tot nicht mehr gegen die Vereinnahmung wehren kann.

Erika Freeman wurde 1927 als Erika Polesiuk in Wien als Tochter einer Lehrerin und eines Arztes geboren, machte in den USA eine unglaubliche Karriere, die die Staatengründung Israels, die Verbreitung von Sigmund Freuds Psychoanalyse in den USA sowie die amerikanische Entertainmentindustrie umfasste. Nach Wien kam Erika Freeman wie alle Exilwiener nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst gar nicht gerne zurück. Und 1961, das erste Mal wieder in der Geburtsstadt, wurde Erika Freeman von einem Sternehotel rüde wieder auf die Strasse gesetzt. Doch 2019 fand sie in Wien eine neue Heimat. Sie traf an einer Veranstaltung, an der sie geehrt wurde – «They tried to kill me, now they decorate me!» –, Franz Schubert, zog ins Hotel Imperial in Wien und blieb in der wieder erblühten schönsten Stadt Europas. Diese «Rache an Hitler» geht sich gut aus im Hotel Imperial; Dr. Freeman wird dort wie eine Königin behandelt, und das ist richtig so: «Hitler war nur ein einziges Mal im Imperial. Ich wohne hier.» Erika Freeman überlebte den gescheiterten Postkartenmaler aus Österreich, selbst ihr Vater konnte den Nazi-Schergen entkommen. Erikas Mutter hingegen überlebte die Verfolgung zwar bis fast zum Kriegsende, doch am schrecklichen 12. März 1945 verbrannte sie in einem Wohnblock nur wenige Minuten vom Hotel Imperial entfernt; er wurde von den Bomben der Alliierten in Brand gesetzt. Davon erfuhr Erika Freeman glücklicherweise erst viel später und sie trauert bis heute: «Ich verstehe den lieben Herrgott nicht.» Es ist so kurz vor dem Ende, und dann stirbt die Mutter ausgerechnet ob der Bomben der Befreier.

Schnitt in die Gegenwart: Freeman hat Familie in Israel, und der 7. Oktober hat alles verändert, was an Zuversicht und Sicherheit in Israel war. Auch Freemans Familie musste vor Bomben und Hamas-Terror nach Haifa und Tel Aviv flüchten, um sich in Sicherheit zu bringen. Erika Freeman meint dazu trocken: «Every war could be Vernichtung sein für die Juden.» Sie sagt dies in ihrer einzigartigen amerikanisch-wienerischen Mischung, mit Idiom und Schalk und Trauer, die unvergleichlich sind. Weiter meint sie gegenüber dem «Spiegel», der unbedingt über Aktualität reden will: «Judenhass ist eine Krankheit wie Krebs», doch sie wirft sofort hinterher: «Sorgen mache ich mir keine. Es macht dich nur schwach und dumm.»
Über Schnittlauchbrot, einem Ei im Glas, einem Joghurt nature «mit gerissenem Apfel und Himbeeren», der obligaten Melange und einer kleinen Tasse voller Kaffee treffen sich in Wirklichkeit und Buch der junge Herr Stermann, auch bald 60 Jahre alt, und die ewig junge Erika Freeman im besagten Imperial. «Be nice to yourself. You are entitled. Du hast das Recht dazu. Write yourself little Zettel how good you are and put them in your pockets», rät sie ihren Mitmenschen und ihren Patientinnen und Patienten, die sie immer noch online oder in einer der Residenzsäle des Imperial direkt behandelt. Dr. Freeman – sie mag ihren Titel, denn «Frau Freeman» sei ihre Schwiegermutter gewesen – ist nicht nur selber berühmt, sondern hat auch illustre Verwandtschaft. Dazu gehören Israel Ben Elieser, der Gründer der chassidischen Bewegung, und Ruth Klüger-Aliav. Letztere wurde 1910 in Kiew geboren, war ukranisch-israelische Zionistin, begründete im Jahr 1939 den israelischen Geheimdienst Mossad mit und organisierte die Flucht Tausender bedrohter europäischer Juden. Ruth Klüger-Aliav ist die Schwester von Erika Freemans Mutter, die ihrerseits die Vorlage abgibt für den Roman und den Film «Yentl», also die wahre Geschichte einer Frau, die lesen, schreiben und leben will, wie die orthodoxen Männer dies dürfen. Frauen spielen die Hauptrolle in Erika Freemans Leben: Barbra Streisand, Hillary Clinton, Lauren Bacall, Anaïs Nin, Elizabeth Taylor und viele andere mehr. «Wir waren Schneeflocken, die die Frauenbewegung weltweit zur Lawine machten.» Die Männer, well, das waren Paul Newman, Woody Allen, Marlon Brando u. a., doch über Patienten spricht sie eigentlich nie; die Namen sind alle durch die Prominenten selber bekannt geworden. Dr. Freeman war in den USA im Radio zu hören, im Fernsehen dauerpräsent – Arbeit hält sie bis heute am Leben. Ihr Motto? Sie verbannt alles Negative aus ihrem Leben: «Es zahlt sich nicht aus. Es macht krank. Es ist ansteckend. Also steck lieber mit Gesundheit an, nicht mit Krankheit.»

Traurig bleibt indessen Erika Freemans Beziehung zur Mutter. Die zwölfjährige Erika reiste allein über Amsterdam nach New York und schrieb ihrer Mutter kein einziges Mal. Weshalb? Weil sie sich weggeschickt gefühlt habe. Dieses zwölfjährige Kind, das wie alle Zwölfjährigen ungerecht und trotzig bleibt und dessen Gefühl die Türe zur Liebe der Mutter so verschlossen hat, dass die Tochter der Mutter nie sagen konnte, wie sehr sie sie doch verehrt hatte. Das ist das Einzige, was sich Erika Freeman nicht verzeihen kann. Dafür traf Erika Freeman durch einen unglaublichen Zufall – vielleicht sollte man den Herrgott nicht verstehen, sondern ihr (!) nur danken – ihren Vater. Dieser war ausgerechnet am höchsten jüdischen Feiertag, an Jom Kippur, am Broadway und rannte in seinen Bruder hinein – mehr Schicksal ist nicht möglich. Zwei totgeglaubte Juden sehen sich auf dem Broadway in New York: auf der Strasse, weil beide nicht in der Synagoge sind. Seitdem, so Erika Freeman, ist das Unmögliche nie mehr unmöglich oder, wie ich dieses Buch lese: Es ist höchste Zeit für Wunder – glauben wir nicht an diese, sondern machen wir sie doch, und zwar lieber heute als morgen.

Dirk Stermann. Mir geht’s gut, wenn nicht heute, dann morgen. Erika Freeman. Ein Jahrhundertleben, Rowohlt 2023

#futureofart: The great artist Aklima Iqbal talking to Regula Staempfli about her journey from Bangladesh to Vienna. A Podcast for Artisapieceofcake (english).

Aklima Iqbal sat down with Regula Staempfli to talk about her journey to become a fantastic artist. Regula Staempfli has to admit, she is biased. She and her partner collect Iqbal and their home is a colorful zen place ever since.

http://artisapieceofcake.art/2023/04/19/futureofart-the-great-artist-aklima-iqbal-talking-to-regula-staempfli-about-her-journey-from-bangladesh-to-vienna/