Regula Stämpfli: Aspekte zu Siegerkunst, Siegerjournalismus & Siegerfeminismus

Siegerschuhe:Modediktate/ Repräsentation in Journalimus& Feminismus

Aus der Schuhausstellung des Stadtmuseums München.

Wolfgang Ullrichs SIEGERKUNST ist ein vehementes Plädoyer für die Demokratie, für Urteilskraft in der Kunst und für eine neue Art von Kunstkritik. Von der Gegenwartskunst bleibt laut Ullrich letztlich nur noch die Oberfläche: Der Kunst-Diskurs besteht lediglich in unaufhaltsam weiter steigernden Geschmacksverletzungen, Skandalen, Inszenierungen, die Regula Stämpfli ähnlich als Medientheorie in: «Trumpism. Ein Phänomen verändert die Welt» beschrieben hat. «Je perverser, brutaler, obszöner das Werk ist, desto besser kann sich ein Sammler als souverän präsentieren», lautet Wolfgang Ullrichs Fazit in seinem 2016 erschienenen Band: «Siegerkunst. Neuer Adel, teure Lust». Wolfgang Ullrich definiert die Gegenwartskunst als «Kunst von Siegern für Sieger», die teuer genug ist, um die soziale Stellung von KünstlerIn und KäuferIn zu repräsentieren. Die grosse Kunst der Moderne, die Avantgarde, dieses geniale Projekt von Autonomie und Souveränität ist also in der Gegenwartskunst durch Repräsentationskunst abgelöst worden. Deshalb stellt sich Kunst auch nicht mehr in den Dienst von Aufbruch, Avant-Garde oder soziale Zukünfte, sondern verkauft sich bei den Mächtigen. Kunst profitiert parasitär von ihrem ehemals guten Ruf. Doch sie ist in weiten Teilen Imitation einer Avantgarde mit hoch symbolischen Referenzen von Autonomie und Souveränität während sie IN WIRKLICHKEIT meist feudalen und repräsentativen Geldverschwendungsorgien dient.

Womit wir bei den der SIEGERKUNST verwandten anderen Repräsentativbereichen angekommen wären: Beim SIEGERFEMINISMUS beispielsweise. Dieser besteht seit einigen Jahren auch mehrheitlich in einer Diskursabstraktion. Margarete Stokowski, SPIEGEL-Kolumnistin polemisiert mit Verve gegen sogenannte Altfeministinnen; ihr Lieblingsfeind ist ausgerechnet Alice Schwarzer. Der Zweck dieser Art von repräsentativen «Siegerfeminismus» liegt in einer Art Selfietum der Gegenwart, das nicht den Inhalt der Politik, sondern die eigene Person ins Zentrum der Diskurse stellt. Donald Trump wurde 2016 eben nicht out of the blue gewählt, sondern hat System – dies auch weit über seine Abwahl hinaus. Will SIEGERKUNST nur repräsentieren und sich gut verkaufen, so gilt dies auch für den SIEGERJOURNALISMUS; SIEGERFEMINISMUS und eben auch den SIEGERPOPULISMUS. Was Regula Stämpfli mit TRUMPISM, Ein Phänomen verändert die Welt beschrieben hat, ist SIEGERPOLITIK, SIEGERKUNST, SIEGERJOURNALISMUS, SIEGERFEMINISMUS in einem.

So erschütterte vor Weihnachten 2018, dem Jahr als auch Regula Stämpflis TRUMPISM erschien, der Fall RELOTIUS die Weltöffentlichkeit. Der frühere «Spiegel»-Reporter Claas Relotius soll seine publizierten Geschichten mit eigenen Fiktionen ausgeschmückt haben, viele seiner Stories waren völlig frei erfunden. Relotius war der Prototyp des Siegerjournalisten, des Selfie-Medienmanns, der keine Themen recherchiert, sondern sich selber verkauft. Reportagen aus der Schweiz gaben 2021 Claas Relotius die Plattform, um sich von allen Vorwürfen mit dem Verweis auf psychische Krankheit reinzuwaschen. Der Journalist Krsto Lazarević, der für das Onlinemagazin Übermedien über den Fall Relotius geschrieben hat, zweifelt an dieser Aussage: „Dass er jahrelang so gehandelt hat und gelogen hat – das hat er nicht nur gemacht, weil er psychische Probleme hat.“ Relotius habe als Hochstapler Karriere machen wollen und auf Ruhm und Preise hingearbeitet. Er war, so Regula Stämpfli als Kommentar hier, eben ein Siegerjournalist, wie er im Buche steht und wie er im Trumpismus-Buch von laStaempfli auch ausführlich analysiert wird.

Plakat Wonderland-Ausstellung in der Albertina Modern 2021. Wien. Foto von laStaempfli

Siegerkunst verbindet sich mit Siegerfeminismus und Siegerjournalismus insofern als in all diesen Berufen, nicht die Expertise, die gesellschaftlichen Themen, die Aufklärung stehen, sondern es lediglich um die Vermarktung der jeweiligen Akteure und Akteurinnen geht. Nichts zählt: Weder das Können, der Werdegang, die Werte, sondern lediglich das Gesicht, der Habitus und die Klickzahlen. Gelingt dem Erzeuger ein Star-Nimbus, dann läuft das Geschäft wie geschmiert. Je brachialer, politisch unkorrekter oder politisch superkorrekt, je skandalöser, je aggressiver, je aufregender die Kolumne, die Reportage, das Bild, die Position, der Account ist, umso höher die Aufmerksamkeit und die gesellschaftliche Stellung innerhalb dieser diversen Sparten von SIEGERPOS(S)EN. Was der SIEGERKUNST teuer war, war lange im SIEGERJOURNALISMUS viel Geld wert. Mittlerweile auch im SIEGERFEMINISMUS, was besonders verheerend ist, denn da wird mit antifeministischen Positionen Kasse gemacht ausgerechnet bei Jenen, die ständig klamm sind, nämlich die Frauen und deren ökonomische Milliardendiskriminierung. SIEGERJOURNALIMSU freut sich ausgerechnet in den ehemals so befruchtenden Linksintellektuellen Milieus einer ungebrochenen Beliebtheit. Jahrzehntelang wurden Herrenkult des Extravaganten, umwerfende Fiktionskraft und Empörungsthemen gepflegt. Unter Frauen gilt es, meist ehrgeizige Jungschreiberinnen zu engagieren, deren Artikel sich in allererster Linie gegen die Feministinnen, die ihnen überhaupt ermöglicht haben, dass sie schreiben können, anzupöbeln. Erinnern Sie sich noch an Michèle Roten? An die «Miss Universum», die damalige Starschreiberin für «Das Magazin», die Gratisbeilage des «Tages-Anzeigers»? Roten propagierte Prostitution, Exhibitionismus und Selbstentblössung – lange vor dem Aufstieg der Selfies in den sozialen Medien. Nach einigen wortgewandten Jahren verschwand sie – wie viele andere junge Frauen vor ihr und nach ihr – aus den Medien in die völlige Privatheit. Ronja Rönne («Warum mich der Feminismus anekelt», in «Die Welt» vom 8.4.2015) ist ein ähnliches Beispiel dieser Art von «Medien- & Selfie-Journalismus». Doch während die Frauen schub- und generationsweise von der Bildfläche verschwinden, ist es bei den Jungschreibern männlichen Geschlechts anders: Sie werden von ihren Kollegen, Vorgesetzten und Geliebten gegen jeden Widerstand geschützt, selbst dann, wenn sie wie Claas Relotius erhebliche kriminelle Energie aufwenden, um ihren Starkult, ihre Fakes und ihre Stories zu verteidigen. Relotius gefährdete nach ersten Verdächtigungen die Karriere und das Ansehen seines Kollegen Juan Moreno, der dem Fälscher auf die Spur kam, massiv. Es ist nicht auszudenken, wenn ein kleineres Kaliber als Juan Moreno sich mit dem Starredakteur, der von seiner Umgebung schon fast heiliggesprochen wurde, angelegt hätte. Oder sogar eine Kollegin? Nicht auszudenken! Wenn Claas Relotius sich nun als psychisch Kranker erfolgreich bei REPORTAGEN verkaufen kann, dann vergessen die Meisten, wie hinterhältig und massiv er gegen seinen Kollegen Juan Moreno vorgegangen ist und wie nahe dieser auf der Kippe stand, ALLES ZU VERLIEREN. Dies nicht, weil ein psychisch kranker Mann sich nicht mehr im Griff hatte, sondern weil ein Karrierist alles dran setzte, sein Lügenwerk zu verteidigen.

Schon 2018 kategorisierte Regula Stämpfli Claas Relotius nicht als Einzelfall, sondern als Spitze eines Medien-Machtsystems. Dies gibt es auch in der Schweiz. Zwar werden die Geschichten nicht grad erfunden oder gefälscht, doch sie werden sehr oft so zugespitzt, dass sie der Chefredaktion und dem Zielpublikum gefallen sollen. Gerne werden dabei auch unbescholtene Menschen diffamiert oder in ein falsches Licht gesetzt, so wie dies Relotius mit den Menschen in «Fergus Falls» tat. Die Verherrlichung von Konventionsbrüchen bei gleichzeitig großer Erzählkunst kreiert monströsen Kommerzjournalismus, der mit der Wahrheit nicht mehr viel zu tun hat. Die ewig gleichen Experten, die dann diesen postmodernen Schrott auch noch mit Preisen ausstatten, zelebrieren sich selber im SIEGERJOURNALISMUS. Die Recherche, Reportage, das Interview, die Trennung von Information und Kommentar, die ganz saubere und harte journalistische Arbeit werden als klassische Formen durch Sensationalismus verdrängt. Die Bildmedien, die auch den Printjournalismus prägen, verherrlichen die Authentizität des «Materials» oder des «Herstellers» zusätzlich. Daraus entsteht keine Information und schon gar keine demokratische Willens- und Meinungsbildung. Es rächt sich, dass die Journalisten jahrzehntelang diesen Starkult gepflegt haben. Ein Machomythos, der weltweit viele Totengräber der Demokratie groß macht und sie in den entsprechenden Positionen sitzen lässt. Der SIEGERFEMINISMUS ist dem Siegerjournalismus eng verwandt: Auch hier entscheidet nicht die Information, sondern die Authentizität und die Herstellerin der jeweiligen SIEGERFEMINISMUS-PRODUKTE. Claas Relotius ist ebenso Archetyp eines SIEGERJOURNALISMUS wie die hochgelobten Jungjournalistinnen für den SIEGERFEMINISMUS stehen. Der Zweck des SIEGERFEMINISMUS der Gegenwart liegt in der reinen Repräsentation. Seit «Sex» der Sängerin Madonna im Jahre 1992 zum Event, Happening, repräsentativen Klamauk, zum allen Ernst imitierenden Universitätsdiskurs mutierte; seit SEX AND THE CITY als fucking consumerism jede Chancengleichheit auf ein Paar Jimmy Choo-Schühchen reduzierte, geht es nicht mehr um soziale, kulturelle, ökonomische und politische Chancengleichheit, sondern nur noch um Repräsentation. Mit dem Etikett «Frau» wird der Gestus des Opfers bei gleichzeitiger Shopping-Anpassungsfreiheitsideologie so überhöht, dass soziale Anerkennung, Kritik und Fortschritt unmöglich gemacht werden. Feminismus wird durch Pornographie des Elends, Sexarbeit, Diverse Shitstürme, Glamour und Bullshit regelrecht erstickt. Gleichzeitig funktionieren digitale Mehrheitsmechanismen so, das die Empörungsspiralen ins Absurde getrieben werden. Avantgardistische Konzepte finden sich diskursiv und digital in den unzähligen Hyperlinks, deren Funktionen auf algorithmischen Mehrheitsgeschmack programmiert sind. Judith Butlers Hegemonie des abstrakten expressionistischen «Unbehagens der Geschlechter» entspricht eins zu eins der Auflösung der emanzipatorischen Moderne und formuliert bis heute das Programm des 21. Jahrhunderts: ein digital vorangetriebener Revanchismus an der gesamten Moderne, der uns im Westen Trumpismus inklusive Plattformkapitalismus und im Osten die Überwachungsdiktaturen gebracht hat. Die Auflösung der Geschlechter nach Judith Butler verfolgt den Zweck, nicht mehr zwischen Wirklichkeit und repräsentativer Funktion der Menschen zu unterscheiden, sondern mittels Diskurse die Welt neu zu besetzen. Damit verkennt sie, dass jede totalitäre Herrschaft IMMER die Deutungshoheit reklamiert – völlig unabhängig von der Wirklichkeit. Deshalb findet der Kampf gegen Sexismus und Diskriminierung nicht in der Wirklichkeit, sondern nur noch in Diskursen, auf Twitter, in Foren, an den Universitäten statt und verkehrt durch die dadurch aufgewiegelte Öffentlichkeit, Feminismus in sein Gegenteil, nämlich in Frauenhass. Siegerfeminismus macht die Fortschritte von moderner Kunst und Frauenbewegung rückgängig mittels Radikalisierung repräsentativer Zustände, den «Orten des Sprechens». Waren moderne Kunst und Frauenbewegung bis zum «Gender Trouble» Befreiungsbewegungen, entkernen Siegerkunst und Siegerfeminismus Kunst und Gleichstellung von ihrer Befreiungskomponente. Deshalb mutiert im Siegerfeminismus bspw. Prostitution zur «Sexarbeit», deshalb wird der Hijab von SiegerfeministInnen als «selbst gewählte Mode» zelebriert.

SIEGERFEMINISMUS verfolgt den klassisch kapitalistischen Weg der Sieger: Wird Glamour mit Progression, mit Kritik, mit Fortschritt gleichgesetzt, können sich Siegerfeminist*innen parasitär von modernen Frauenbewegungen durch die Imitation des Kampfes gegen Ungerechtigkeit etablieren und so richtig massiv Kasse machen. Je stärker Genderdiskurs und Genderpolitik eine Zumutung darstellen, umso besser eignet sich der SIEGERFEMINISMUS als Statussymbol, das exklusiv wirkt und sich gegen alle normalen, frauenpolitisch wichtigen Forderungen abgrenzt. Es geht um Repräsentation der Sieger*innen auf Kosten der Wirklichkeit. Es sind diese spektakulären Wirkungen, die damit zweihundert Jahre Emanzipationsgeschichte regelrecht auszulöschen versuchen.

Die Verherrlichung von klassischen Gleichstellungs- und Konventionsbrüchen werden wie beim «Siegerfeminismus» als «Reinigung und Revolution» interpretiert; die Beschimpfung von «alten Feministinnen», die sich in ihrer Misogynie in nichts von klassischem Frauenhass unterscheidet, als Fortschritt interpretiert.

Ausschnitt aus Giovanni Paolo, Ruinenbilder im 18. Jahrhundert.

SIEGERFEMINISMUS. Akte des Shoppings postmoderner Beliebigkeiten und umhüllt diese mit dem Gestus der «Emanzipation». Es werden ganze Enzyklopädien neuer Begriffe, Attribute, Images geschaffen, um «Siegerkunst» und «Siegerfeminismus» mit Rätselhaftigkeit, mit der Autorität als Herrscherin über Bedeutungen zu füllen. «Siegerkunst» und «Siegerfeminismus» müssen sich ruppig geben (siehe bspw. die Attacken auf die sehr unglücklich agierende J.K. Rowling), dürfen keinen Trost oder Ablenkung versprechen oder gar die Verbesserung der Lebenssituation darstellen, bewahre, nein: «Siegerkunst» und «Siegerfeminismus» müssen Chaos, Unsinn, Beliebigkeit, Manierismen als «guten Geschmack» innerhalb des «schlechten Geschmacks» inszenieren, um mit Susan Sontag zu sprechen.

Die Wege zur Aufklärung: Scheinwahrheiten von Wahrheiten zu trennen, ist manchmal kompliziert. Nicht kompliziert ist indessen hier laStaempflis Ansatz zu einer neuen Form der Feminismus -Kritik und Feminismus-Theorie, zu der ich durch Wolfgang Ullrichs «Siegerkunst» inspiriert wurde: «Siegerfeminismus» als neue kritische Theorie, die dem Anliegen der Aufklärung in ihrer dialektischen Wirkung wie auch in ihrer wirklichkeits- und machtpolitischen Realität gerecht werden kann. Erste Ansätze waren schon in meinem Buch «Trumpism. Ein Phänomen verändert die Welt» angedacht. In den nächsten Monaten wird nicht nur die «Theorie des Siegerfeminismus» publiziert werden, sondern auch die neue Medientheorie zum «Siegerjournalismus», womit ich hiermit das Copyright zu den beiden Begriffen zwecks Publikationen an meine Person geknüpft habe. Dies muss an dieser Stelle betont werden, da sich in der Vergangenheit einige Männer mit dem Diebstahl meines geistigen Eigentums unerhörterweise bereichert haben. Sie werden es wohl wieder und wieder versuchen: Dies steht in der Tradition eines «Siegerjournalismus» und «Siegerfeminismus».

Links: http://www.kleinreport.ch/news/relotius-als-selfie-und-mediensystem-91423/ und https://www.ensuite.ch/von-der-siegerkunst-zum-siegerfeminismus/