Regula Stämpfli über die Zukunft des Lernens im Jahr 2175 für swissfuture 1/2020

Vom Konsum zum Leben: Lernen in der Zukunft. 

Radikal ist immer nur das gute Lernen, also Selbstermächtigung und Teamarbeit in einer hoch vernetzten Welt. Die politische Philosophin Regula Stämpfli nimmt uns mit in eine Reise der Zukunft im Jahr 2175 für swissfuture – Magazin 1/2020. Siehe https://regulastaempfli.eu/wp-content/uploads/2020/07/zukunft-des-lernens-swissfuture.pdf

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Regula Stämpfli über Netflix & Co: Die Alternativlosigkeit der Streamingdienste im ensuite: Magazin für Kunst und Kultur

Regula Stämpfli über Netflix & Co: Die Alternativlosigkeit der Streamingdienste im ensuite: Magazin für Kunst und Kultur 

Isaac Newton behauptete 1687: «Ich kann die Bewegung des Himmelskörpers berechnen, nicht aber das Verhalten der Menschen.» Falsch. Netflix, Amazon, Google, Facebook, Twitter, Instagram, Apple, IBM, Baidu, Alibaba, Tencent, Microsoft bauen mit Verhaltenskalkulationen grad die Welt neu. Paradox daran ist: Ihre Gewalt braucht keine Waffen, nur noch Algorithmen und entsprechendes Storytelling.

Klischeetussis (Frauen bleiben Körper, egal welchen Part sie spielen), Pop-Porn, Apokalypse, Reality-Elemente, spektakuläre Effekte, kernige Männer, zelebrierte bipolare Störungen, Aspergersyndrom, VerHERRlichung arabischer Clans, Rap-Glory britischer Underclasses, rassistische Victimheroisierung, sexueller Missbrauch, detailverliebte Gewaltszenen etc. bieten die postdemokratischen Erzählstrukturen. Alles ist persönlich. Seit «The Apprentice» von Donald Trump herrscht auch in der Wirklichkeit die inszenierte Realität, die alternativlose Fiktion der Streamingdienste. Dies geschieht vor unser aller Augen und wird doch nicht gesehen. Dank den Behaviouristen gibt es schon längst keine guten oder schlechten Filme mehr, sondern nur noch «Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch xy». Dabei fällt kaum auf, dass alles, was die Streamingdienste genial macht, wenig mit den Plattformen, sondern mit Politik zu tun hat. Serien wie «Chef’s Table», «Chernobyl», «Good Omens», «Fauda», «Fargo», «The Witcher», «Ragnarök», «Modern Family», «Sex Education», «Black Mirror», «Versailles», «Tatortreiniger», «Broadchurch», «Shtisel» etc. transformieren menschliche, d. h. politische Erfahrungen in Geschichten. So weit, so gut. Doch dies sind Ausnahmen. Wichtiger ist den Streamingdiensten die Propagierung einer «zweiten Wirklichkeit» (Georg Seesslen): Lebewesen sollen in Datenpaketen verpackt, möglichst viel konsumieren: Einzelwesen, eingesperrt in den Plattform-Totalitarismus kalkulierter Privatsphäre. (…) weiter siehe https://www.ensuite.ch/1439046-2/

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“Raus aus der Stadt: Rein ins nachhaltige Wohnen”: Regula Stämpfli über die Zukunft des Wohnens.

“Raus aus der Stadt: Rein ins nachhaltige Wohnen”: Regula Stämpfli über die Zukunft des Wohnens. Die Frage, wie wir in Zukunft wohnen werden, hat Designer*innen und Zukunftsforscher*innen schon immer beschäftigt. Die Corona-Krise bestärkt Trends und beschleunigt Entwicklungen hin zu einem naturverbundenen Leben. In “Traumhaus” 3/2020, Gastbeitrag von Regula Stämpfli. “Sehnsucht nach Natur und Authentizität” – “Nicht die Häuser werden intelligenter, sondern die Umgebung wird natürlicher”. 

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laStaempfli on #AI & #KI and #Algorithmic Bias: TEDx 2013 (The World is only ready for her message in 2020…)

 

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Regula Stämpfli, Swiss-born, lives in Munich and works as a columnist and lecturer in Germany, France and Switzerland. For four years she worked on a modern interpretation of Hannah Arendt’s vita activa, published in Brussels in 2007 as Die Macht des richtigen Friseurs (The Power of a Proper Hairdresser). in 2013 she wrote: “The Poetry of Algorithms and the future of the Pixel-Gaze”, critique of modernist perception of time, and of mankind and its labours. Together with IFG Ulm, her professional advisory board, Regula Stämpfli initiated a publicity program called Designing Politics -The Politics of Design for the HFG Ulm institute in 2007. The Ulm Discussions continue within various design networks. In 2013, Stämpfli’s book Die Vermessung der Frau (The Metric Woman) was published by the publisher, Gütersloher Verlagshaus. The book gained high recognition (second edition was published after only four months) and has received innumerable reviews and readings, including TV and radio programs.

In 2018 laStaempfli wrote “Trumpism. Ein Phänomen verändert die Welt”, which was a Bestseller in Austria with a long book tour. Staempfli develops the theory of digital democracy in regards to communication and how Trumpism is a method rather than just a mishap in history. The book is one of the best critiques on #Bankspeak, #Ratings, #Polls and applies Hannah Arendts Vita Activa. 

A multi-faceted intellectual, Stämpfli is known from her written works and television appearances as a sharp-witted analyst, columnist and inspirational talker. Opinions of her vary greatly: the Neue Zürcher Zeitung once referred to her as “Nervewrecker from Brussels”, whereas her students have called her “The Lara Croft of Political Science”. Her popular works comprise additional books, including a collection of her articles, among  there an exhibition and a book on women and their professions. Staempfli teaches political philosophy at the University of St. Gallen. 

Regula Stämpfli im Schweizer Fernsehen, Medienclub: “Die Privatisierung von Staatsaufgaben beim Homeschooling wurde zu wenig von den Medien thematisiert”

Regula Stämpfli im Schweizer Fernsehen, Medienclub: “Die Privatisierung von Staatsaufgaben beim Homeschooling wurde zu wenig von den Medien thematisiert” 16.6.2020

Pressetext SRF: Tatsachen und Meinungen – Wie objektiv berichten Medien?

Seit Wochen dominieren zwei Ereignisse die Medien: die Coronakrise und die Unruhen in den USA. Die Berichterstattung ist flächendeckend, das Interesse des Publikums so gross wie selten zuvor, die Leistung der traditionellen Medien wird geschätzt. Doch es gibt auch Kritik: Zu lange hätten die Schweizer Medien die Meinung der Regierung und der Behörden vertreten, zu spät seien Corona-Verhaltensanweisungen hinterfragt worden, zu einseitig schiesse die Berichterstattung nur gegen US-Präsident Trump, Journalistinnen und Journalisten würden kommentieren statt informieren. Wird die Kritik des Publikums ernst genommen? Wo fängt Meinungsjournalismus an? Und dürfen extreme Meinungen in Artikeln und Sendungen Platz haben?

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Regula Stämpfli über die gewachsene Macht der Experten 2020

Regula Stämpfli über die gewachsene Macht der Experten 2020 im : Der Kirchenbote

„Experten sind die neuen Propheten“

Regula Stämpfli sieht eine Verschiebung der Machtverhältnisse in der Schweiz aufgrund von Corona von Carmen Schirm-Gasser (Auszug)

Haben wir zu sehr auf Experten gehört? 

In der Tat. Die Experten sind die neuen Propheten. Sie bringen die wissenschaftlich legitimierten Heilsbotschaften, zum Wohle der Allgemeinheit. Diese Expertokratie übersieht, dass der Mensch mehr als die Summe seiner biologischen Funktionen ist. Das ist ein Menschenbild, das alle metaphysischen Aspekte ausklammert. Man könnte meinen, wir sind wieder im 19. Jahrhundert. (…)Bild 04.06.20 um 11.16

laStaempfli on the Twitter – Trump War: Here TEDx-Talk on Digital Transformation in general: No Data without representation.

laStaempfli on the Twitter – Trump War: Here TEDx-Talk on Digital Transformation in general: No Data without representation. In my book “The banality of Trump” – in German: Trumpismus. Ein Phänomen verändert die Welt” I explain how Social Media change democracies, their leaders and how Barack Obama and Donald Trump profited both from a shift in paradigms of communications. As early as in the year 2007 I started analysing digital and old media in terms of their impact on political communication and global politics and policies. In the video below you will see my suggestion of binding Social Media back into democracies, with a first step: No Data without representation. I have many more and innovative suggestions concerning #DigitalTransformation. In our upcoming conference on “Digital Democracy” we will present the most effective and most important constitutional and democratic changes concerning social media, digitalisation and coding. Check it out: TA SWISS and SWISSFUTURE in the Museum of Communication in Berne 2020. 

A short comment to the ongoing war betweet TWITTER and TRUMP: Imagine a Hamburger MC-Business acting globally and becoming so big that it does not respect health and safety regulations of the respective nations and local communities where the business sells hamburgers. This is in fact what has been going on with Facebook, Twitter and YouTube. It is high time to have Factchecks, Warnings and legal rights to intervene against False Information on social media (like in my Wikipedia-Article which was fabricated in German by one of my many trolls).

More on the matter soon….

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Regula Stämpfli über SIEGERKUNST (in Anlehung an Wolfgang Ullrich) anlässlich der verschobenen #ArtBasel 2020. Der Titel: “Kann man das scheissen oder soll man das kaufen?” ist als Verneigung zu Piero Manzoni gedacht

Regula Stämpfli über SIEGERKUNST (in Anlehung an Wolfgang Ullrich) anlässlich der verschobenen #ArtBasel 2020. Der Titel: “Kann man das scheissen oder soll man das kaufen?” ist als Verneigung zu Piero Manzoni gedacht

Im Juni 2020 hätte die Art Basel mit Glanz und Gloria steigen sollen. Sie wurde auf den 17.- 20. September 2020 verschoben. Anlass genug, um über die Börsenperformance von Kunstmessen nachzudenken.

Vierhundertfünfzigkommadrei Millionen Dollar kostete der Retter der Welt. Salvator Mundi inkarnierte im November 2017 Geld und Kunst wie kein anderes Gemälde vor ihm. Konnten sich Maler der Renaissance noch wehren, Michelangelo Buonarrotti düpierte mit der Sixtinischen Kapelle den Papst, würde sich heutzutage kein Galerist offensiv und für das Werk mit den Mächtigen anlegen. Die „Siegerkunst“ (Wolfgang Ullrich) bleibt auf Kurs: Pecunia non olet. Die schamlose Novemberaktion für einen ungesicherten Leonardo da Vinci übertraf alles Bisherige. Der Louvre von Abu Dhabi erklärte später, er wolle das Bild ausstellen. Gekauft wurde es von einem anonymen Bieter. Vermutet wird als Käufer laut „Der Spiegel“ Prinz Bader bin Abdullah bin Mohammed bin Farhan al-Saud aus Saudi-Arabien. Oh dear, ausgerechnet er! Ein Vertrauten des Kronprinzen Mohammed bin Salman, der, so die Gerüchte, auch mal gerne vor den Augen der Weltöffentlichkeit Regimegegner in fremden Botschaften zerstückeln lässt.

Die Reichen dieser Welt sind dermassen reich, dass nur Kunst sie noch aufwerten kann. Finden sie nämlich üblicherweise nichts, was ihrer enormen Kaufkraft entspricht, dann erfahren sie eine Impotenz ihres unermesslichen Vermögens, so der Kunstmarktkritiker Ullrich. Kunst ist Reinigungsikonografie für die grassierende globale Re-Feudalisierung und Versklavung der Welt und sie erfüllt ihren Job hervorragend. Ob Kunst tatsächlich einen Wert hat, kann zwar theoretisch in Frage gestellt werden, praktisch gehört Kunst seit Jahrhunderten zum Wertvollsten und Langlebigsten was der Kapitalismus zu bieten hat. Der „Tefaf Art Market Report“ weist Gewinnmargen im Kunstmarkt auf von der die Realwirtschaft nicht mal zu träumen vermag. Seit der Bankenkrise der Jahre 2008/09 ist klar: Die Regeln der Finanzwelt lassen sich eins zu eins auf den Kunsthandel übertragen. Nicht nur das: Kunst ist auch die perfekte Geldwaschanlage für organisiertes Verbrechen: Drogen, Menschenhandel und Bestechung von Staatsbeamten. Wer die bei den grossen Auktionshäusern beliebte Kunst kauft, der demonstriert: Ich scheiss auf Wert, sondern setze auf Spekulation.

Der Kunsthandel orientiert sich wie Facebook-Algorithmen nach statistischer Relevanz inklusive Korrelation von Medienberichten, Expertenmeinungen und Galerie-Propaganda. Es gibt dabei jedoch überraschende Momente, die einige Kunstmanager, sind sie denn clever genug, durchaus ausnutzen können. Gegenüber Aktien und Gold hat Kunst den Vorteil, langfristige Anlagen zu sichern. Nur so ist zu erklären, dass ein Hedgefonds-Manager Leon Black 2012 einen Munch für 119.9 Millionen Dollar in New York ersteigerte. Eric Clapton kann davon sprichwörtlich ein Lied singen. Er hatte irgendwann mal ein „Abstraktes Bild“ von Gerhard Richter – dem meiner Meinung nach meist überschätzten Maler überhaupt – für 3.4 Millionen Dollar gekauft und ein par Jahre später für sagenhafte 21.3 Millionen Pfund verkauft.

Der Kunsthandel ist manchmal auch reine Pornografie. Piero Manzoni liess seine eigene Künstlerscheisse in Dosen abpacken, je zu 30 Gramm, aufgewogen in purem Gold. Manzoni stellte auch farblose Bilder her. Die „Achromes“ sind zusammengenäht mit klinisch wirkenden Verbandsmaterial, Seide und anderen Stoffen. Der kapitalismuskritische Clown Manzoni wird mittlerweile auch zu Millionenpreisen gehandelt. Also nicht er, sondern sein nachkriegsavantgardistisches Werk. Einer seiner besten Ideen bestanden in Ballons, gefüllt aus seinem „Künstlerodem“. Auch seine signierten gekochten Eier, signiert mit einem Daumenabdruck wohlverstanden, wurden als Kunstwerke beim Galeriebesuch verspiesen. Die Designerin Juli Gudenhus konnte an Manzoni anknüpfen: Nicht bei der Scheisse, sondern beim Wisch und Weg. Sie präsentierte ihre Sammlung im Corona-Hype um ausverkauftes Klopapier. Schliesslich war Corona zu Beginn noch sehr erheiternd. „Mann mit Nudel sucht Frau mit Klopapier“ lautete eines der beliebten Memes. „Der an sich friedliche, ja simplizistische Hygieneartikel ist in pandemischen Zeiten zum komplexen Anlass für Sorge, Verzweiflung, Wut, Streit, Handschellen und asozial marktwirtschaftliches Verhalten mutiert.“ (SZ, 31.3.2020)

Kann man das scheissen oder soll man das kaufen? Solche banalen Fragen stellen sich  schon längst nicht mehr. Vor allem nicht bei einem toten Künstler, dessen Werk-Wert sich nach einem allfälligen Ableben verdoppelt. So rechnen übrigens auch Versicherungen. Jede tote Künstlerin ist doppelt soviel wert wie eine lebende.

 

Weshalb ist dem so? Wie im Medienmarkt schlägt die fehlende Kunstkritik auf der Kunstseite zu Buche. Museen und Grosssammler, die Super-Egos der Kunstbranche haben schon längst die Deutungshoheit für sich beansprucht. Kritiker wie bspw. Wolfgang Ullrich führen im Vergleich ein Nischendasein. Nur so lassen sich Nicht-Künstler wie Damien Hirst oder Jeff Koons erklären. Ohne Tate Modern wäre der versnobte Medien-Fake Hirst als einer unter Hunderttausenden Künstlern im Versicherungsgeschäft gelandet. Zur Ehrung von Hirst sei indessen anzufügen, dass sein „For the Love of God“ zur bisher bissigsten biokapitalistischen Kritik gehört. Schade nur, dass dies wenige erkennen. Jeff Koon hat, ausser einem sympathischen Wesen und schlechten Frauengeschmack nichts aufzuweisen. Koons Kunst ist nichts – ausser eben unfassbar teuer. Im Jahr 2013 wurde Koons „Balloon Dog“ für 43 Millionen Euro verkauft. Man stelle sich dies plastisch vor: Der Pudel stammte nicht einmal aus Koons Handwerk, sondern wurde von dessen Assistentenkohorte in Serie fabriziert. Dank Koons blüht die Branche, die seit Jahren immer mehr Geld anhäuft und in sich hinein fliessen lässt.

Kritische Künstlerinnen haben es im Vergleich sehr schwer. Es gibt sie zuhauf, sie kriegen jedoch weder wirklich Aufmerksamkeit noch Geld für ihre teils grossartigen Werke. Die neohöfischen Finanzoligarchen in Dubai, Doha, Abu Dhabi, Moskau, Beijing, Rio, Pjöngjang (letztere natürlich nur anonym) verbrämen die Kunstwerke monetär. Sie bestellen Kunst für ihre Geldtempel wie früher Päpste für ihre Kathedralen. „In den funkelnden Oberflächen der Koons-Skulpturen erscheint das Geld selbst als große Kunst. Der materielle wandelt sich in einen ideellen Wert. Was eben noch abstrakt war, eine kalte Zahlenkolonne, zeigt sich in denkbar schönster und sinnlosester Form. Deshalb ist der Pudel auch auf Hochglanz poliert: damit der neue Besitzer sich herrlich im eigenen Reichtum spiegeln kann. Er hat ja sonst nicht so viel“, schreibt der brillante Kunstkritiker Hanno Rauterberg („Die Zeit“, 14.11.2013).

Die Schweiz, das ehemalige Stachelschwein, hat mit der Art Basel schon längst goldene Pudelscheisse im globalen Kunstgeschehen etabliert. Während die Kunstpresse immer wieder nach ideellen Werten statt monetärer Verhaftung im Kunstmarkt schreit, rühmt sich die ehemalige Universitas Basel monetärer Hohenflüge. Nicht nur die Schweiz, sondern eben auch die Kunst sind krisensichere Investitions-Orte. Und im Zeitalter des Selfism spielen immer häufiger die Sammler die Hauptrolle: Sowohl die Medien als auch die Billionäre setzen auf den, den eigenen Tod überlebenden Klebstoff Kunst.

2017 wurde nach Auskunft der Händler fast eine Milliarde Euro an der Art Basel umgesetzt während die Documenta 14 mit einem über 5.5 Millionen Euro-Defizit abschliessen und die Leitung in Kassel neu besetzt werden musste. Zwar ist es unfair, ein kuratorisches Ereignis wie die documenta mit dem kommerziellen Event der Art Basel zu vergleichen, doch die traurige Tatsache zeigt: Beide werden vom Publikum unter „Kunst“ subsumiert. Kapital ist eben nie moralisch, sondern höchstens ästhetisch.

Bild aus Wikipedia

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Regula Stämpfli: Mit Hannah Arendt die Coronakrise einordnen, NZZ, 5.5.2020

Regula Stämpfli: Mit Hannah Arendt die Coronakrise einordnen, NZZ, 5.5.2020

GASTKOMMENTAR

Das Virus und die Freiheit: Die westlichen Demokratien sind durch das chinesische Virus in den Abgrund gestürzt worden

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Die Kombination von «monokausalen Narrativen» und «virologisch basierter Datenhoheit» habe ein «Zeitalter der totalen Gewissheit» geschaffen, schreibt die Politikwissenschafterin Regula Stämpfli. Die Urteilskraft über Richtig und Falsch sei auf der Strecke geblieben.

Einige erinnern sich vielleicht an Platos berühmten Kampf gegen die Sophisten. Er warf ihnen vor, ihre Kunst bestünde darin, «den Verstand mit Argumenten zu bezaubern», die nicht der Wahrheit dienten, sondern darauf abzielten, Meinungen zu erzeugen. Solange diese plausibel erscheinen, «liege ihnen die Kraft der Überzeugung inne». Hannah Arendt nennt dies den «temporären Sieg der Argumente auf Kosten der Wahrheit». In meinem Buch «Trumpism. Ein Phänomen verändert die Welt» zeichne ich nach, wie postmoderne Narrative, die sich «datengestützt» als Wahrheiten inszenieren – hier als bestes Beispiel die Umfragen –, letztlich intendieren, monokausal den Sieg über die Wirklichkeit zu erringen. Die neuen digitalen Herren inklusive ihrer Instrumente «Plattformkapitalismus» sowie «Digitaler Überwachungsstaat» zerstören mittels der «Algorithmisierung der Welt» empirische Realitäten mit derart präzise berechneter Schlüssigkeit, dass der Unterschied zwischen Fiktion und Realität für die meisten von uns nicht mehr erkennbar ist.

Damit steht auch die Existenz geschichtlicher Realitäten, wie sie sich beispielsweise demokratischen Entscheidungsprozessen manifestieren, auf dem Spiel. Datenpakete «beweisen» gegenüber der Wirklichkeit bald jene, bald andere Meinungen, so dass sie oft gar nichts mehr «wirklich» erklären. All dies macht die Existenz von uns als Bürgerinnen und Bürger, als Weltangehörige eines undurchsichtigen datenbasierten Systems fragil.

«Es gibt keine ‹neue Normalität› für die Demokratien mehr, selbst nach einem möglichen Corona-Impfstoff.»

«Wie soll man das Chaos der überlieferten Tatsachen noch ordnen, wenn die Tradition nicht mehr gültig ist», fragt Hannah Arendt in ihrer Totalitarismusstudie. Sie weist nach, wie Ideologien darauf abzielen, die «nicht mehr gültigen Regeln des gesunden Menschenverstandes zu ersetzen», eines Menschenverstands, den Arendt als «common sense», als Gemeinsinn definiert, durch den wir eine uns allen gemeinsame Welt erfahren und uns darin zurechtfinden dürfen. Ein Zustand also, dem wir als Menschen dank Corona seit Wochen entrückt sind.

Die Kombination von monokausalen Narrativen, inklusive virologisch basierter Datenhoheit, konstruiert ein «Zeitalter der totalen Gewissheit», die zum fast vollständigen Wegfall klassischer Urteilskraft über Richtig und Falsch führt. Deshalb spriessen Verschwörungstheorien wie Twitterpilze aus dem virtuellen Raum. Diese «Eroberung der Welt als Zahl» treibt mich seit 2003 um, aber ich ahnte nicht, dass mir das Unglück beschert sein würde, diese meiner grössten Ängste um den Zustand der Welt an meinem eigenen Körper erleben zu müssen.

 

Dies ist kein Zufall, sondern das Resultat politischer Schlafwandler, kombiniert mit volkschinesischer Sendungsgewalt bei gleichzeitiger westlicher demokratischer Impotenz. Wer verstehen will, wie selbst die Schweizer Demokratie widerstandslos und über Nacht Hunderttausende von Existenzen ins Unglück stürzen konnte, abgefedert durch den unermesslichen Reichtum dieses Landes, dessen Bundesräte sich ständig neuer Hilfspakete rühmen, muss sich mit dem seit einem Jahrzehnt anhaltenden globalen Trend, die Menschlichkeit, ja das Wesen des Menschen selbst zu verletzen, auseinandersetzen. Die westlichen Demokratien sind durch das chinesische Virus physisch und politkulturell in den Abgrund gestürzt worden. Sie werden dort auch bleiben, wenn sie der Asymmetrie der VR China und dem Rest der Welt, wenn sie dem Ungleichgewicht des globalen digitalen Plattform- und Überwachungskapitalismus nicht durch ein aktives Demokratisierungsprogramm begegnen.

Es gibt «keine neue Normalität» für die Demokratien mehr, selbst nach einem möglichen Corona-Impfstoff.

Die paternalistische Regierungsweise, dass der Staat lobt oder tadelt, darüber bestimmt, wie sich die Bürgerinnen und Bürger zu verhalten haben, die Grundrechtsverletzung, beispielsweise im Kanton Tessin alle über 65-Jährigen mit einem Ausgehverbot zu belegen, die Enteignung von Selbständigen, von kleineren und mittleren Unternehmen mit dem Hinweis, die folgenden dreissig Jahre Schuldenwirtschaft als eine Art Solidaritätszuschlag nach deutschem Modell zu betreiben, watschen alle Demokratien und liberalen Freiheiten verfassungswidrig ab. Die Corona-Ausnahmeregimes haben mithilfe wissenschaftlich bewiesener Tatsachen, sekundiert von einer Heerschar dienender Intellektuellen- und Medienliteraten alle Kritiker der getroffenen Massnahmen als Menschenfeinde dargestellt, und tun es noch. Dies mit dem Effekt, dass wir uns meinungsmässig widerstandslos, quasi über Nacht, von allen Werten verabschiedet haben, die uns bis vor Kurzem noch unantastbar erschienen. Die erste Exit-Strategie muss deshalb lauten: Lasst uns in Parrhesia üben, in Widerspruch, in Vielfalt, in gegenseitiger Akzeptanz und Toleranz bei gleichzeitiger Wahrung geltender Bestimmungen. Und es braucht dringend klare Alternativen, denn: Wer will schon Virologen über die Zukunft der Demokratie entscheiden lassen?

Post-Corona wird nur dann post sein, wenn wir, die Überlebenden der westlichen Demokratien, die Stunde Null einläuten. Wir brauchen ein aussergewöhnliches Wirtschaftswunder. Gleichzeitig müssen wir Demokratinnen und Demokraten erkennen, dass eine Politik, die über Nacht aus Menschen isolierte Individuen macht, die sich weder an Familie, Freundinnen, Bekannte noch an Arbeitsplätze, Bildungsinstitutionen, Vereine, Verbände, Parteien binden können, sondern zum eigenen und kollektiven biologischen Überleben gezwungen werden, letztlich dazu trainiert werden, alles und jeden zu opfern.

Regula Stämpfli ist Politik-Dozentin mit Schwerpunkt Hannah Arendt, political Design, Digital Transformation und Demokratie-Theorie. Sie lebt in München.