Regula Stämpfli über Virus-Krieg & Ausgangssperren: #Corona und die #Demokratie

18. März 2020 Virus-Krieg und Ausgangssperren: Corona und die Demokratie

Die Massnahmen werden immer martialischer. „A Letter From Wartime France“ titelt „The Atlantic“ über Emmanuel Macrons Auftritte zur Corona-Krise. Die Politphilosophin Regula Stämpfli, die u.a. in Paris unterrichtet, kommentiert die Corona-Krise medien- und demokratiekritisch.Zu Beginn der europäischen Corona-Krise, am Wochenende des 14. Februars, verkündete die amtierende Gesundheitsministerin Agnès Buzyn, sie wolle jetzt kurzfristig für das Amt der Bürgermeisterin in Paris kandidieren.

Buzyn erzählt viel über Frankreich und seine Elite. Jetzt, wo die Katastrophe sichtbar wird, jetzt, wo die Pariser und Pariserinnen ihrer Freiheiten, ihrer Lebensqualität, ihrer sozialen Identitäten durch den von Macron ausgerufenen „Guerre“ beraubt werden, flieht die Haute Volée aus der Stadt in ihren Zweitsitz auf dem Lande. In Paris selber wird es immer ungemütlicher. Die Wohnungen sind winzig, ohne Flanieren, Cafés und Museen ist das Leben in Paris alles andere als chic. Kein Wunder war fast „tout Paris“ noch am Wochenende in den Parks. Präsident Macron wird deshalb immer martialischer in seiner Sprache: „Krieg, Krieg, Krieg“ wiederholt Präsident Macron mehrmals und denkt über eine Ausgangssperre nach. Zwar will „le président“ „keine Panik“ schüren, doch in Paris weiss man, was er meint: Die Stadt wird ihrer Lebensader beraubt.

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Nach den Terroranschlägen in Paris, strömten die Menschen erst recht in die Lokale. Die Botschaft war klar: Von den islamischen Terroristen lassen sich Pariser und Pariserinnen nicht ihre Lebensweise nehmen. Ähnlich die erste Reaktion auf die Corona-Krise: Die Parks waren in Paris voller fröhlicher Erwachsener und spielender Kinder.

Doch nun ist aller Spass vorbei und nur die Wenigsten benennen im Krieg, die ersten Gefallenen: Die bürgerlichen Freiheiten und die Demokratie. China gilt plötzlich allen westlichen Demokratien als Vorbild. Die Ausserkraftsetzung aller demokratischen Rechte wie das Recht auf Versammlungsfreiheit, auf Bildung, auf Berufsausübung, auf Gewerbefreiheit wird im deutschsprachigen Raum mit: „Ich scheiss auf die Demokratie“ beantwortet (TWITTER). Die meisten Medien sind Informationsblätter des Bundesamtes für Gesundheit und wildfremde Menschen bewachen freiwillig öffentliche Plätze, damit die Zusammenkunft von Menschen „aufs Minimum“ reduziert wird.

Was mit uns als Gesellschaft, als Demokratien, als Menschen passiert, die alle als lebensgefährlich eingeschätzt werden, muss dringend und offen diskutiert werden. Einfach die „Ausgangssperren“ zu begrüssen, wie dies in der progressiven Bubble durchaus üblich ist, blendet alle vergangenen Jahrhunderte, den Kampf um Demokratie, Partizipation und Gleichheit aus. Wir müssen jetzt unbedingt den politischen Ausnahmezustand diskutieren: Gerade weil wir die Massnahmen der sozialen Isolation und Quarantäne unterstützen. Denn die Botschaft muss eben auch sein: Das, was jetzt mit uns als Demokratie und Gesellschaft passiert ist inakzeptabel und nur der Not geschuldet.

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Das Schweigen der sonst so lauten Geisteswissenschaften ist hoch ansteckend und ein für die Demokratie gefährliches Virus. Seit Wochen werden wir in Europa einem autoritären, nationalstaatlichen Experiment mit ungewissen Ausgang unterworfen. Wie schnell alle Errungenschaften der Moderne angesichts einer Pandemie über den Haufen geworfen werden, erschüttert mich, selbst wenn ich alle Massnahmen nachvollziehe und unterstütze. Doch eines werde ich mir nie verbieten lassen, selbst bei einer Ausgangssperre nicht: Das kritische Denken.