Tiere denken: #fbm16 Richard David Precht

Am 1. Mai dieses Jahres hielt ich eine Rede in Thun. Thema war: Über Menschen und Maschinen. Doch meine Abschlussworte drehten sich um Tiere. Nämlich darum, dass wir unser Weltverständnis nicht nur gegenüber Maschinen (die können nämlich oft die «besseren» Menschen sein) transformieren müssen, sondern gegenüber den Lebewesen, die wir grob in Tiere und Pflanzen einteilen. Mein Schlusssatz war: «Es könnte sehr wohl sein, dass in 100, 200 oder 300 Jahren die Menschen auf unsere Zeit zurückblicken und mit grossen Entsetzen, mit riesiger Abscheu und unfassbaren Ekel darüber erzählen, wie wir mit Tieren umgegangen sind. Dies nicht unähnlich wie wir heute auf die Sklaverei und Rassenherrschaften vergangener Zeiten zurückschauen.»

Nun hat Richard David Precht ein Buch über Tiere geschrieben und wie immer ist er diesbezüglich klar, intelligent, klug, präzise, strukturiert, er kann brillant erzählen, witzig, zwar gar etwas männerbetont, doch grundsätzlich einfach «Wow.» Klar doch. Peter Sloterdijk nannte ihn aus Frust, weil er wegen Precht sein philosophisches Quartett verloren hat, den «André Rieu der Philosophie.» Meine philosophischen Kolleginnen rümpfen auch ihre Nase, wenn sie den Namen Precht hören und meinen er koche höchstens mit Wasser. Soziologen machen sich lustig, eigentlich bashen viele auf Richard David Precht ein – wohl nicht zuletzt weil grosser Neid aufkommt bei so einem Allesdenker, Alleskönner mit gutem Aussehen. In seiner Talkrunde «Precht» ist er zwar unendlich eitel und extrem mühsam punkto Altmännergästedominanz, aber als Antwortender, als Lehrer, als Wegbereiter ist er genial wie kein Zweiter.

Auf dem «Blauen Sofa» erzählte der der überaus klugen Moderatorin viele, ganz, ganz entscheidende Dinge, wenn es um Leben und unsere Welt geht. Hier meine Notizen:

Können Tiere sprechen? Klar doch. Es ist nur so, dass wir keine Ahnung haben und uns auch nicht bemühen, die Sprache der Tiere, beispielsweise der Schimpansen, zu verstehen. Was die Intelligenz betrifft, so ist die Krake uns Menschen – rein materiell gesehen – um unzählige Varianten überlegen. Nach welchen Kriterien sollen Tiere beurteilt werden? Mit einer Moral des Nicht-Wissens und der Würde für alle Lebewesen.

Richard David Precht bringt im Gespräch ganz viele Beispiele, wie wir über Tiere denken könnten und sollten. Besonders entsetzlich eindrücklich sind seine Beispiele und Inkonsequenzen im deutschen Rechtssystem, das Tiere durchwegs als Foltervorlage für Sadisten benutzt (meine Formulierung). Erstaunlich fand ich persönlich seinen Hieb auf die Psychologie: «Alles, was der Mensch beherrschen kann, verliert für ihn an Wert.» In Bezug auf die Liebe kam mir da meine schottische Schwiegermama in den Sinn, die – im anderen Zusammenhang, doch ähnliches meinte mit ihrem Satz: «Treat them mean, keep them keen» – also nur, was sich nicht beherrschen lässt, auch respektiert wird. Darüber lohnt es sich, noch weiter nachzudenken, denn ein derartiges Menschenbild ist eigentlich nicht meines.

So oder so: Hören Sie Precht, denken Sie mit Precht und klar doch: Wer Jonathan Safran Froer «Tiere essen» gelesen hat, findet bei Precht die notwendige öffentlich-rechtliche, politische, philosophische und juristische Ergänzung. Wenn Sie auf das Bild klicken, können Sie den Beitrag auf dem «Blauen Sofa» auf ZDF nachgucken.bildschirmfoto-2016-10-21-um-15-25-50

Klein Report: Mutige Journalistinnen& das grösste Gefängnis für Journalisten

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Der diesjährige «Raif Badawi Award» der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ging an das Flüchtlingsprogramm des «Dange NWE»-Radio aus Hlabja in Irak. Das Radio startete 2005 als Frauen- und Jugendradio.

Die Preisträgerinnen arbeiten unter den härtesten Bedingungen für eine bessere, demokratische Welt. Gegen alle Bedrohungen hören sie nicht auf, Frauen und Flüchtenden eine Stimme zu geben. Das Radio ermöglicht Frauen und Jugendlichen finanzielle Unabhängigkeit und fördert den Kampf gegen Unterdrückung. Gleichzeitig tragen die Beiträge zur Verständigung zwischen unterschiedlichen Religionen und Ethnien bei: Von Flüchtlingen zu Flüchtlingen wird berichtet und erklärt. Ganz grossartig und enorm schade, dass darüber in den Schweizer Medien kaum berichtet wird. Regula Stämpfli war an der Frankfurter Buchmesse an der Preisverleihung dabei und berichtet Klein Report.

Laudator der Veranstaltung war Can Dündar, der engagierte ehemalige Chefredaktor von «Cumhuriyet». Der Mann, der schon vor einem Jahr von Erdogan ins Gefängnis geworfen wurde, weil er und sein Kollege Erdem Gül die Exporte des türkischen Autokraten an die syrische Rebellen öffentlich gemacht hatte.

Die türkischen Verfassungsrichter sahen in der Festnahme von Dündar und Gül jedoch einen Übergriff des Staates und so kamen die Journalisten frei – ein Glück des Schicksals. Denn seit dem Ausnahmezustand werden massenweise Richter entlassen, die dem türkischen Autokraten mit Recht die Macht beschneiden.

Can Dündar kann nicht mehr in sein Land zurück, er lebt inkognito irgendwo in Deutschland (dessen Türken laut Medienberichten schockierenderweise zu über 90 Prozent Erdogan wählen). Dündar war nicht nur Lautador, sondern Überraschungsgast auf dem «Blauen Sofa» – was dem ZDF hoch angerechnet werden sollte, denn der Druck auf die deutschen Medien durch die türkische Regierung ist nicht zu unterschätzen.
Can Dündar ist ein ruhiger, besonnener Mensch mit klaren Worten: Die Türkei hat sich zm «grössten Gefängnis für Journlisten» gewandelt.

In einem Appell, der Alle erschauern liess, da die postmoderne Inszenierungen oft vergessen lassen, dass das, was vor unser aller Augen in der Türkei passiert, schliesslich auch uns treffen wird, plädierte Can Dündar für ein Engagement von uns allen, aber vor allem von Verlagen, Universitäten, Politikern.

Sie sollen die Inhaftierten besuchen, sie sollen berichten, sie sollen den Druck spüren, um ihn an die Türkei weiterzugeben. Wir brauchen einander: Alle, die für Demokratie, Säkulärismus, Vielfalt und Menschenrechte kämpfen. Höchste Zeit, die Medienschaffenden realisieren, wie notwendig die Solidarität über die Grenzen hinweg ist.

Die Türkei ist nur ein Schritt von unser aller Realität entfernt – dies sage ich nicht zuletzt mit Blick auf Ungarn, Polen und den Ausnahmezustand in Frankreich.

Bruce Springsteen – leider geheim

Aussen vor – tut immer weh. Dabei hätte Bruce Springsteen sicherlich gerne mit mir geredet, laach, so bilde ich es mir jedenfalls ein. Aber wieder einmal waren die Männerfans dieser grossen Seele an erster Stelle, denn ja klar: Auf Springsteen stehen Männer, u.a. auch solche, die nichts von dem haben, aber auch gar nichts, was Springsteen eben zum Menschen macht.

Seufz.

Es ist wie bei «Born in the USA» – 1984 brauchte Reagan den Song für seine Wahlkampagne. Dem neoliberalen Wegbereiter und Schauspieler waren die kritischen Worte egal und damals gab es noch keine Verbote für Rechtsextreme und Rechtspopulisten, die sich immer mehr tollen Songs bemächtigen, die das Gegenteil ihrer Politik ausmachen.

Dabei ist klar: Bruce Springsteen ist der Sohn seiner Mutter. Ohne sie wäre er nie das geworden, was er ist: Ein Mensch. Ein Songwriter, der ein Buch wie ein ganz grossartiges Album verfasst hat. Der seine Mutter ehrt und Frauen liebt. Genau die Voraussetzungen, die es braucht, um immens gross zu werden. Und gleichzeitig klein zu bleiben: in Demut vor sich selber, seiner eigenen Bedingtheit , der Liebe zu den Menschen und allem Lebendigen.

Springsteens kerniges Lachen lässt einen vergessen, dass er – an der Buchmesse für Auserwählte – den Satz für die Ewigkeit aussprach: „You have to earn transcendence in your music.“ Wow. Transzendenz durch Musik – das passt. Transzendenz durch Poesie? Auch. Transzendenz durch poetisch-politisches Handeln? Unbedingt.rs-227987-btr-700x1057-298x450