Regula Staempfli über Medienwandel: It´s the codes, stupid! in ensuite: Magazin für Kunst und Kultur Juni2021

Regula Stämpfli über den Medienwandel: It’s the codes, stupid! “Der Mensch als Maschine feiert seit einigen Jahren sein über 100-jähriges Jubiläum. Der Schotte Arthur Keith bspw., ein Anthropologe und Anatom, beschrieb 1919 den Menschen als Motorensystem, in welchem die knochigen und fleischlichen Komponenten für Fortschritt und Bewegung und, bei schlechter Wartung, für den Verfall zuständig waren. Der Deutsche Fritz Kahn kopierte die Idee und fertigte 1922 den bis heute einprägsamen Maschinenmann: «Der Mensch als Industriepalast». Die Kommandozentrale besteht bei Kahn aus Männern in weissen Kitteln, Arbeiter müssen an den Leitungen bei der Leber die Stoffe in Zucker verwandeln. Fritz Kahn, in seinen jungen Jahren ein glühender Zionist, wandelte sich als Arzt zum Rassenmediziner, der bereitwillig über «Die Hygiene der Juden» publizierte. Alexei Gastew, ein kommunistischer Dichter, gründete 1920 das «Zentralinstitut für Arbeit» und «betrachtete Maschinen als seine ‹eisernen Freunde› und bezeichnete das ‹Krachen, Pfeifen, Knirschen und Schreien der Apparate in den Fabriken› als die ‹Musik der Zukunft›». Der begnadete Historiker Philipp Blom beschreibt diese und andere Geschichten, u. a. auch, wie sowjetische Arbeiter an Maschinen festgeschnallt wurden, um durch endlose Wiederholung die perfekte Bewegung zu verinnerlichen. Gastew war erfolgreicher Missionar der kommunistischen Maschinengesellschaft, hochdekoriert und verehrt, bis er 1938 von der sowjetischen Geheimpolizei abgeführt und nach einem Säuberungsprozess erschossen wurde. Seine Mörder führten seine seelenlosen Visionen sozialer Automaten unbeirrt weiter. Diese wurden auch von den westlichen BesucherInnen der sowjetischen Tötungsmaschinerie verehrt und in Europa wie in den USA kritiklos verbreitet. Die Bauhaus-Schule unter Walter Gropius bspw. schaffte «Utopien aus Beton» (Philipp Blom): Auch hier ging es um das Ideal, das menschliche Leben zu vereinfachen, «indem die Moderne auf Funktion festgelegt wurde statt auf Beziehung und Bewegung» (laStaempfli IFG 2007). Bis heute verfolgen viele Baumeister hierarchische Visionen, die den Menschen Optimierung abverlangen. Le Corbusier schlug bspw. 1925 vor, die schönste Stadt der Welt, nämlich Paris, dem Erdboden gleichzumachen: Statt der Innenstadt sollte es fortan nur Wohntürme und Autobahnen geben.” Link: https://www.ensuite.ch/its-the-codes-stupid/