Regula Stämpfli über Relevanz statt Ignoranz: Wirecard statt Cancel Culture

Regula Stämpfli über Relevanz statt Ignoranz: Wirecard statt Cancel Culture:    Wie so oft, verkennen die Zeitgenossen die wichtigsten Analysen ihrer Zeit. Es gäbe wahrhaft genug zu diskutieren: Bankenkrise, Ranationalisierung im Zeichen der Pandemie, die katastrophale und menschenunwürdige Migrationspolitik, Populismus, Brexit, die realistisch erscheinende Wiederwahl von Donald Trump, doch was passiert im deutschen Politsatiredschungel im Herbst 2020? Richtig. DAS alle Feuilletons bestimmende Thema ist das Phantom „Cancel Culture“. Männer im besten oder auch jungen Alter enervieren sich über einen Hashtag, einen Hyperlink und einen „Denglisch-Begriff“, dessen Realität frau mit der Lupe suchen muss, um auf ein valables Beispiel in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland zu stossen. Sie wüten darüber, dass bisher Unsichtbare es wagen, die Allzusichtbaren zu kritisieren. Sie schreien entnervt über Frauen, die es wagen, die Schlichtheit, die Vorurteile sowie die antidemokratischen Narrative der Herren zu entlarven. Der Podcast „Schröder & Somuncu“ ist diesbezüglich das beste Anschauungsbeispiel. radioeins initiiert einen neuen Podcast und den Sendeverantwortlichen fällt nichts Besseres ein als zwei Herren im mittleren Alter das Mikrofon zu geben, von denen man und frau sicher ist, dass sie stundenlang sich selber über völlig irrelevanten Schrott auslassen können. Dabei wäre alles einfach, demokratisch und relevant: Das wichtigste Thema für die demokratische Öffentlichkeit ist nämlich nicht die „Cancel Culture“, sondern „Wirecard“.wirecard relevanz

 

Das SZ-Magazin hat kürzlich eine der besten „gefühlte Wahrheiten“ publiziert. Da gibt es Hongkong, Russland, Belarus und eine Newsente von Leuten, die in Deutschland das „Ende der Diktatur“ fordern. Und was wird in Deutschland diskutiert? Richtig. Die Mobber, die Bullies, die Lauten, die Leugner aller Wirklichkeiten, die Frustrierten, die wirklich unangenehmen Wutbürger, die Hasser, die Undankbaren, die Nihilisten werden in Talkshows eingeladen, die Bundestagsabgeordneten schauen vorbei, Kommentatoren fordern Dialog.

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Diese fehlende Unterscheidung zwischen Relevanz und Zerstörung demokratischer Diskurse im Zeitalter digitaler Automatismen, deren Trends nur aus Empörung gefüttert werden, erschüttert. Es ist ein wahrhaftiger Weltverlust (Hannah Arendt), der sich in der Diskrepanz zwischen Diskurs und Realität manifestiert.

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