Regula Stämpfli über die französischen Neuerscheinungen «Le Consentement» und «14 juillet»: Vive la littérature française contemporaine
Wäre Europa verdammt, nur noch in einer einzigen Sprache lesen zu dürfen, würde uns die französische retten. Keine andere Sprache vermag Demokratie, Geschichte, Politik, Unterdrückung, Freiheit, Sexualität und Philosophie so poetisch zu vermitteln wie sie. Deutschland und die Dialäktschweiz verbinden im Vergleich furchtbare Leerstellen: Literatur ist oft eine dröge Männerangelegenheit, Poesie wird gerne von protestantischen Klugscheisserinnen und Klageweibern verhandelt: Helvetisch-teutonisch-kleinkrämerisch wird Literatur im grossen Kanton und in der Dialäktschweiz mittels Politiksprache territorialisiert. Ausgenommen sind dabei die grossen Schriftstellerinnen wie Marlene Streeruwitz, Elfriede Jelinek, Christa Wolf, Eva Menasse, Verena Stefan, Johanna Adorjan, Ruth Schweikert, Vea Kaiser, Anne Siegel, Laure Wyss – um der Gerechtigkeit halber nur einige zu nennen und gleichzeitig auf die grossen deutschsprachigen Krimiautorinnen hinzuweisen, deren literarische Qualität immer wieder überzeugt. Das deutschsprachige Feuilleton ist an der Misere mitbeteiligt: Es strotzt vor Platitüden wie «nichts Neues», «zu wenig Distanz», «Anklageschrift», «verbissen», «könnte spannend sein», wenn es um ausgezeichnete Romane oder Sachbücher geht, die dem Kritiker ein Dorn im Auge sind, weil er schlicht überfordert ist. Deutsches «Übermannt-Sein» (O-Ton Christian Lindner, FDP-Chef Deutschland, der als «Vorzeigeintellektueller» gilt) überall: deshalb kein Anzeichen im deutschen Feuilleton, sich auf die Poesie des «Other», auf Verantwortung, auf Demokratie, auf Urteilskraft, auf Denken einzulassen. Deutsche Kulturkritik liesse sich in einem Comic mit einem älteren, wohlerhaltenen Mann «in den besten Jahren» mit rehäugiger Kritikerin an der Seite, ja, sie könnte seine Tochter sein, zeichnen: «Fräuleinwunder» …
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