Regula Stämpfli über den Serienmörder-Experten, der keiner war: Frankreich im Mai 2020

Regula Stämpfli über den Serienmörder-Experten, der keiner war: Frankreich im Mai 2020

Die Enthüllung, dass Stéphane Bourgoin, Frankreichs berühmtester Experte für Serienmorde, ein Fake ist, ist voll Romanmaterial. «Le Vampire de Düsseldorf» , «100 ans de serial killers», «Docteur Holmes» oder mein Liebling «L’Orgre des Ardennes» sind nur vier von über 30 Bestsellern, mit denen Borgoin das französische Publikum und die Medien erfreute. Der 67 jährige war ungemein erfolgreich und produktiv in seinem selbstgebauten Serienmörder-Imperium. Seine Karriere begann, nicht unüblich für das alte Europa, mit einem USA-Aufenthalt. Auch Tom Kummer, der inzwischen zum Literaturfach gewechselten Medienhochstapler, nutzte seinen Amerikastatus für perfekte Fiktionen. Claas Relotius, der den SPIEGEL in die grösste Krise seiner Geschichte stürzte, operierte auch gerne mit Fakes aus den USA. Gewissheiten aus der Ferne waren vor dem Internet grobkörnig, da lagen elegante Schunkeleien und Märchen quasi vor der nächsten Freeway.

Das Netz bringt aber nun nach und nach alle Hochstapler zu Fall. Professorinnen und Politiker stürzen über mangelhafte Copy-Paste Doktorarbeiten, jetzt sind die Experten an der Reihe. Das Kollektiv «Le 4ème Oeil Corporation» nahm Bourgoin ernst, seine Geschichten nicht und entlarvte ein beeindruckendes Lügengeflecht. Bourgoin lügt seit 1976. Das war das Jahr als seine fiktive Freundin von einem Serienmörder zerstückelt wurde. Diese fiktive Tragödie –Münchhausen lässt grüssen – machte ihn schliesslich zum Experten für Serial Killers.

schlagende zeilen

Der Erfolg gab ihm recht: Das Spiegelkabinett rund um Facts und Fiction begann sich medial zu drehen. Der Bedarf nach einem Bestsellerautoren und Experten, der bspw. den «Würger von Boston» dem sich gruselnden Publikum näher brachte, war schliesslich riesig.

Weshalb hier der Fall Bourgoin? Er war jahrzehntelang der Prototyp von Fernsehexperten. Sein Lügengeflecht kam bei den Medienschaffenden unkritisch an, was einiges über die Medienmechanismen erzählt. Zudem faszinieren uns die irrige unkritische Sensationslust und Bewunderung, die Journalisten Männerexperten immer noch entgegenbringen. Stéphane Bourgoin wird nicht der Letzte seiner Art gewesen sein.