Mithu Sanyal: Identitti. Das Gespräch mit Regula Stämpfli online #Leipzig #Sachbuch

Offener Brief zum Preis der Leipziger Buchmesse, unterzeichnet von Mithu Sanyal und Regula Stämpfli. Am 13. April 2021 machte die Jury des Preises der Leipziger Buchmesse ihre Shortlist öffentlich. Alle darauf Genannten sind hochverdiente Autor:innen und Übersetzer:innen. Jede:r Einzelne wäre ein:e würdige:r Preisträger:in.

Mithu Sanyal & Regula Stämpfli

Unter den Nominierten befinden sich jedoch keine Schwarzen Autor:innen und Autor:innen of Colour. Dabei hätte es gerade in diesem Frühjahr genug Auswahl gegeben an Autor:innen, die bereits öffentliche Anerkennung und Auszeichnungen erhalten haben. Wir finden die Entscheidung der Jury problematisch. Aber es ist nicht unsere Absicht, ihre Mitglieder zu attackieren. Vielmehr wollen wir ihre Entscheidung zum Anlass nehmen, eine Diskussion zu führen, die in unseren Augen längst überfällig ist: Über institutionelle Strukturen innerhalb der deutschen Gesellschaft, die nicht immer für alle wahrnehmbar sind, aber dennoch immer wirken. Auch im Literaturbetrieb. Literatur kann gesellschaftliche Strukturen und herrschende kulturelle Vorstellungen in Frage stellen. Damit sie diese gesellschaftliche Aufgabe jedoch übernehmen kann, muss ihre Vielfalt gefördert und gepflegt werden. Doch im deutschen Literaturbetrieb gibt es ganz offensichtlich eine institutionelle Struktur, die Schwarze Schriftsteller:innen und Schriftsteller:innen of Colour ausschließt. Kulturelle Institutionen, die fast ausschließlich weiße Autor:innen auszeichnen, verhindern die Weiterentwicklung der vielfältigen Literatur- und Kulturszene in Deutschland. So verfestigt sich ein eindimensionales Konzept von Literatur und Kultur. Die Unterzeichner:innen dieses Briefes wollen eine Kultur, in der eine Vielheit an Stimmen und Perspektiven Normalität ist. Und dafür braucht der deutsche Kulturbetrieb Jurys, Verlagshäuser und Feuilleton-Redaktionen, die die gelebte Realität der deutschen Gesellschaft repräsentieren. Wie kann das erreicht werden? Einige Ansätze, die wir zusammengetragen haben: Schwarze Autor:innen und Autor:innen of Colour brauchen mehr gezielte Stipendien und finanzielle Förderung. Es sollte Positionen explizit für neue Juror:innen geben, die den Blick für neue, diverse Literatur weiten. Verlage, Literaturagenturen und -häuser und Literaturinstitute müssen verschärft ihre Zugangsbarrieren analysieren und auf Chancengerechtigkeit achten. Literatur von Schwarzen Menschen und People of Colour darf nicht nur durch das “Anderssein” ihrer Protagonist:innen wahrgenommen und damit klein gehalten werden – wie kann das gelingen? Und vielleicht am wichtigsten: Die Lektüre in unseren Bildungssystemen muss eine andere, eine reale Welt abbilden – nicht so wie jetzt, eine weiße, männliche cis-heteronormative. Nur so können Leser:innen, Autor:innen, Verlagsmitarbeiter:innen und Kritiker:innen heranwachsen, die die Welt so divers wahrnehmen, wie sie in Wirklichkeit ist. Auch wir Unterzeichner:innen verpflichten uns dazu, weiterhin unseren Beitrag in unseren Institutionen und Kreisen zu leisten und werden im Nachgang dieses Briefes nach weiteren konkreten Mitteln suchen. Es liegt noch ein gutes Stück Weg vor uns. Doch sind wir der festen Überzeugung, dass es wert ist diesen Weg zu gehen, um Chancengerechtigkeit und gleichberechtigte Teilhabe in Literatur und Kultur Wirklichkeit werden zu lassen.”