Regula Stämpfli über den Hashtag #dichterdran und Emerenz Meier in der Kulturzeitschrift ENSUITE”. Wenn Frauen über Autoren so schreiben wie Autoren über Schriftstellerinnen.

Das Gedicht „Stossseufzer“ von Emerenz Meier liest sich im Sommer 2019 wie ein Beitrag zum sehr lustigen, sehr wichtigen und aufklärerischen Hashtag #dichterdran. Die Schweizer Literaturwissenschaftlerin Nadia Brügger hat ihn aus Ärger über die Rezension von Bestsellerautorin Sally Rooney, die „sexualisiert und in grossväterlicher Manier geschmälert“ wurde, mit Simone Meier (Watson) und der Regisseurin Güzin Kar initiiert. Die Tweets zeigen die hochkomische Umkehr der Verhältnisse: Wenn Frauen über Autoren schreiben wie Männer über Autorinnen, wird offensichtlich, wie sehr jede weibliche Kreativität und Innovation der Frauenrolle geopfert wird. Meist ausgerechnet praktiziert von einigen Feuilletonisten, die sich als besonders „fortschrittlich“ inszenieren.

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Regula Stämpfli über die Bigotterie der Selfie-Medien in “persoenlich”: Medien-Onlinemagazine für Meinungsführende

“Sophie Hingst, die Preisträgerin des «Blogger des Jahres» von 2017, ist tot. Einige Wochen zuvor wurde sie vom deutschen «Spiegel»-Autor Martin Doerry in einer riesig aufgemachten Geschichte als Hochstaplerin entlarvt. Die bekannte Journalistin Lea Rosh gibt für die promovierte Historikerin Hingst eine Todesanzeige auf mit dem Text: «Keine jüdische Familie. Keine Slum-Klinik in Indien. Keine Aufklärungsrunde. Nur ein gutes Herz, das zu früh aufhörte zu schlagen, weil es nicht mehr krank sein wollte.» Hingst hätte laut Rosh mehrere Realitäten gehabt, doch das Narrativ der «Spiegel»-Enthüllung wollte nur die eine. Denn die eignete sich ja auch besonders gut für eine typische «Spiegel»-Geschichte.

Das journalistische Agenda-Setting rund um Hingst ist Ausdruck einer Selfie-Mediengesellschaft, die sich um Relevanz schert und Prominenz hinterherhechelt. Selbstverständlich hätte Sophie Hingst «entlarvt» werden sollen und können, doch: Was bringt ein Magazin wie den «Spiegel» dazu, seitenlang eine promovierte Historikerin zu verheizen, die darüber hinaus an einer Krankheit litt (worauf die Mutter Sophie Hingst den Journalisten Doerry offensichtlich hingewiesen hat)? Weshalb lesen wir im «Spiegel» statt über die Akteure des Berliner Flughafens, statt über den Stand der McKinsey-Beratermillionen von der Leyens oder der neuen EU-Kommissionspräsidentin eine sehr unglückselige Geschichte über eine einzelne Bloggerin – und das auf mehreren Seiten?” weiterlesen, auf Foto drücken. 

PS: EINZELNE JOURNALISTINNEN KOPIEREN DEN BEGRIFF “SELFISM” UND “SELFIE-MEDIEN” AUS MEINEM BUCH “TRUMPISM. EIN PHÄNOMEN VERÄNDERT DIE WELT” SCHAMLOS OHNE QUELLENANGABEN. DIES ENTSPRICHT DER ALTHERGEBRACHTEN TAKTIK DER INNOVATIONEN VON FRAUEN, DIE EINFACH KOLLEKTIVIERT WERDEN (VON FRAUEN UND MÄNNERN) WÄHREND INNOVATIONEN, BEGRIFFSSCHÖPFUNGEN VON MÄNNERN INDIVIDUALISIERT WERDEN.

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